Wie viel Eiweiß braucht man für den Muskelaufbau? shutterstock.com/E.G.Por

Wie viel Eiweiß braucht man für den Muskelaufbau?

  • Marco Heibel
Glaubt man Bodybuildern, kann man gar nicht genug Eiweiß am Tag essen, wenn man Muskeln aufbauen will. Dabei gibt es unzählige Studien, die diesen Fitness-Mythos widerlegen. Ein kleines Gedankenspiel verdeutlicht, warum zu viel Eiweiß nichts bringt.

Der Eiweißbedarf des Körpers wird von Kraftsportlern und Bodybuildern deutlich überschätzt, von Ausdauersportlern hingegen oft unterschätzt. In einschlägigen Bodybuilding-Foren liest man Empfehlungen von 3-4 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht, die man täglich zu sich nehmen solle. Bei einem 80 Kilogramm schweren Athleten summiert sich das auf 320 Gramm Eiweiß.



Um eine solche Proteinmenge über die natürliche Ernährung zu decken, müsste unser 80kg-Durchschnittsathlet täglich fast 1,5 Kilogramm Putenfleisch, 50 Hühnereier oder rund 10 Liter Milch konsumieren. Gar nicht auszudenken, was ein noch schwererer Athlet zu sich nehmen müsste... Die nahe liegende Lösung ist Eiweißpulver. Hiermit kommt man spielend auf die „nötige“ Eiweißmenge.

Was macht der Körper mit dem Eiweiß?


Fragt sich nur, ob der Körper so viel Eiweiß überhaupt anabol (also Muskeln aufbauend) verstoffwechseln kann. Denn das ist ja das Ziel von Kraftsportlern. Zum Verständnis: Im Zuge der Verdauung werden die verzehrten Eiweiße in einzelne Aminosäuren aufgespalten und ins Blut geschleust. Dort stehen die Aminosäuren für verschiedene Funktionen zur Verfügung.

Unter anderem wird aus den einzelnen Aminosäuren körpereigenes Eiweiß aufgebaut. Diesen Gewebe aufbauenden Prozess nennt man auch anabolen Stoffwechsel. Es gibt allerdings auch Grenzen. Man kann über Nacht nicht einfach mehrere Kilogramm Muskeln aufbauen, genauso wie man in dieser Zeit auch nicht einfach ein paar Kilogramm Fett los wird. Letzteres passiert übrigens im katabolen Stoffwechsel. Nährstoffe werden im Körper verbrannt und so in Energie umgewandelt.

Wie viel Eiweiß wird überhaupt benötigt?


Setzt man durch intensives Training einen Wachstumsreiz, regt man den anabolen Stoffwechsel an. Der Körper reagiert auf eine Belastung, der Muskel wächst. Dafür braucht man Eiweiße, das ist unstrittig. Die spannende Frage ist jedoch: Wie viel Eiweiß braucht man täglich, und kann man auch zu viel Eiweiß essen? Und wenn ja, ist dann zu viel Eiweiß ungesund?

Dazu mal ein Gedankenspiel: Ein Bodybuilder möchte gerne in einem Jahr 10 Kilogramm Muskelmasse aufbauen. Tun wir mal einfach so, als ob wir für den Aufbau von 10 Kilogramm reiner Muskelmasse auch 10 Kilogramm reines Eiweiß aufnehmen müssten. Dann müsste unser Kraftsportler also zusätzlich 10.000 Gramm Eiweiß verteilt auf 365 Tage zu sich nehmen. Daraus ergibt sich ein täglicher Proteinbedarf von 27,4 Gramm nur für den Aufbau der Extramasse.

Allerdings muss man natürlich noch berücksichtigen, dass Eiweiße im menschlichen Körper auch andere wichtige Funktionen ausführen. Eiweiße sind beispielsweise Bestandteile von Haut, Organen, Enzymen und des Immunsystems. Sie bauen neues Gewebe auf, reparieren verletzte Strukturen und sorgen für den Transport von Nährstoffen. Mit anderen Worten: Eiweiße sind lebensnotwendig.

Daher empfehlen Sport- und Ernährungswissenschaftler auch täglich, Eiweiß zu sich zu nehmen. Die allgemeine Empfehlung für Normalbürger liegt bei 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Daraus ergibt sich für unseren Durchschnitts-Athleten mit 80 kg Körpergewicht ein Proteinbedarf von 64 Gramm. Sein Sportpensum ist in dieser Rechnung jedoch noch nicht berücksichtigt. Führen wir also einfach mal beide Eiweißmengen zusammen:

64 Gramm (Grundbedarf) + 27,4 Gramm (Muskelaufbau) = 91,4 Gramm

Das würde bedeuten, dass täglich 91,4 Gramm Eiweiß oder umgerechnet 1,14 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht rechnerisch ausreichen, um die gewünschte Muskelmasse in einem Jahr aufzubauen. 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht ist übrigens auch die konservative Empfehlung für Sportler.

Noch ein paar weiterführende Gedanken


Möglicherweise greift die Überlegung etwas zu kurz, und durch intensiven Sport steigt der Proteinbedarf über unsere Kalkulation. Muskelgewebe unterliegt einem ständigen Auf- und Abbau, und durch intensive Belastungen kommt es zu Verletzungen, die repariert werden müssen. Auch das Immunsystem leidet mitunter und braucht ein Mehr an Eiweißen.

Von daher wird der tägliche Proteinbedarf von Leistungssportlern sicherlich über 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht liegen. Tatsächlich gehen aktuelle Studien von 1,5-1,8 Gramm aus. Mehr Eiweiß kann aber wohl nicht mal ein trainierter Körper sinnvoll verwenden, wobei ohnehin nur ein Teil dieser Eiweißmenge in den anabolen Stoffwechsel geht.

Weiterhin muss man bei unserem Gedankenspiel berücksichtigen, dass ein Kilogramm Muskelmasse nicht zu 100 Prozent aus Eiweiß besteht, sondern sogar zu 70 Prozent aus Wasser. Der benötigte Proteinanteil für den Aufbau von 10 Kilogramm Muskelmasse ist also noch viel geringer!

Eiweiß: Weniger ist manchmal mehr


Trotzdem gibt es immer noch Bodybuilder, die am Tag bis zu 4 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen. Könnte der menschliche Körper diese Eiweißmenge tatsächlich komplett in Muskeln umwandeln, wären enorme Gewichtszunahmen in einem Jahr möglich. Zieht man den Grundbedarf ab, bliebe immer noch 3 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht über.

Daraus würde sich ja theoretisch eine Gewichtszunahme von fast 90 Kilogramm im Jahr ergeben: 3 Gramm x 80 (Kilogramm) x 365 Tage = 87,6 Kilogramm. Das ist einfach unmöglich. Selbst 10 Kilogramm Muskelmasseaufbau in einem Jahr sind für einen Durchschnittsathleten schon unrealistisch, zumal ja in dieser Rechnung wieder nicht der Wasseranteil im Muskel berücksichtigt ist.

Aber was passiert mit dem ganzen Eiweiß? Im günstigsten Fall wird es unverdaut wieder ausgeschieden, weil die Transportwege für Nährstoffe aus dem Darm ins Blut beschränkt sind. Pro Stunde kann immer nur eine bestimmte Menge Eiweiß aufgenommen werden. Grundsätzlich geht man von einem Verdauungsverlust von 10 Prozent aus. Dennoch gelangen über den Tag verteilt mehr Aminosäuren ins Blut, als der Körper für den anabolen Stoffwechsel benötigt. Einfach speichern kann unser Organismus die überschüssigen Proteine leider auch nicht.

Folglich geht ein Teil der Aminosäuren in den katabolen Stoffwechsel und wird in Energie umgewandelt. Das passiert beispielsweise dann, wenn diätbedingt der Kohlenhydratanteil in der Nahrung reduziert wird oder wenn die körpereigenen Kohlenhydratreserven (Glykogen) durch lange Ausdauerbelastungen erschöpft werden.

Allerdings gehört Eiweiß nicht zur bevorzugten Energiequelle bei sportlichen Belastungen. Daher wird nur ein Teil der Aminosäuren in Glukose umgewandelt und verbrannt. Der überwiegende Teil der nicht benötigten Aminosäuren wird hingegen in Fett umgewandelt. Das hat den enormen Vorteil, dass Fett einen Platz sparenden Energiespeicher darstellt.

Ist zu viel Eiweiß ungesund?


Derzeit gibt es keine gesicherten Studien, die eine Gesundheitsgefährdung durch zu viel Eiweiß bei einem gesunden Menschen belegen. Es gibt aber einige Untersuchungen, die die Vermutung nahe legen, dass die Abbauprodukte des katabolen Eiweißstoffwechsels die Nieren belasten. Von daher sollte man sich tatsächlich überlegen, ob eine übermäßige Aufnahme von Eiweiß sinnvoll ist.

Übrigens, neben der Gesamtmenge ist auch der Zeitpunkt der Eiweißaufnahme für den Muskelaufbau relevant. Studien haben gezeigt, dass etwa 30 Gramm Eiweiß pro Mahlzeit ausreichen. Eine Steigerung der Eiweißmenge hat demnach keinen weiteren positiven Effekt beim Muskelaufbau gebracht. Statt wenigen großen Eiweißportionen solltest Du also lieber regelmäßig Proteine zu Dir nehmen.

Im Idealfall enthält jede Mahlzeit eine kleine Portion Eiweiß. So ist sichergestellt, dass Dein Körper über den ganzen Tag gleichmäßig mit Aminosäuren versorgt wird. Besonders entscheidend für den schnellen Masseaufbau ist die Einnahme von schnell verwertbaren Proteinen direkt nach dem Training. An dieser Stelle ist tatsächlich die Substitution mittels Eiweißpulver sinnvoll. Ansonsten kann man seinen Proteinbedarf auch über die natürliche Ernährung decken.

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