Die anderen Seiten des Roberto Garcia Parrondo Alibek Käsler und MT Melsungen
Portrait

Die anderen Seiten des Roberto Garcia Parrondo

  • Frank Schneller
Viele in der Branche halten Roberto Garcia Parrondo für die personifizierte Erfolgsformel des Überraschungs-Herbstmeisters MT Melsungen. Für eine Art Mischung aus Pep Guardiola und Xabi Alonso des Handballs. Er hat in Nordhessen sukzessive ein wettbewerbsfähiges Team aufgebaut – und ist noch lange nicht fertig. Abseits der Trainerbank weiß man über ihn jedoch nur wenig. Wer ist der Mensch Parrondo? Was ist sein Background? Wie tickt der 44-Jährige? Ein Portrait des Spaniers von Frank Schneller.
Das elektrische Klavier steht im zweiten Stock. Man wird Roberto Garcia Parrondo nur selten darauf spielen hören. Obwohl er durchaus eine Leidenschaft für Musik hat. Acht Jahre lang hat er gelernt, Gitarre und Klavier zu spielen – als Jugendlicher in seiner spanischen Heimat, an einem Konservatorium sogar. Auch eine Gitarre gibt es im Hause Parrondo. Doch obwohl es ihn entspannt, Musik zu hören, findet er keine Ruhe, wenn er selbst in die Tasten greift oder an den Saiten zupft. „Ich stelle dabei fest, dass ich vieles nicht mehr so gut kann wie früher – das ist zwar irgendwo nachvollziehbar, 27 Jahre später, aber es ist trotzdem frustrierend. Und es verursacht mir Stress, also das Gegenteil von Entspannung“, sagt der Trainer der MT Melsungen.

Damit verrät der Spanier so einiges über sich: Er ist grenzwertig perfektionistisch. Gibt er selbst zu: „Ich weiß, dass man mich durchaus obsessiv nennen kann.“ Bemerkenswert daran – und wohl eine seiner Stärken – aber ist auch, wie er damit umgeht: „Ich bin so – und ich akzeptiere es. Ich werde mich nicht mehr großartig ändern oder mir etwas einzureden versuchen, das ich nicht bin. Wäre ich gerne etwas entspannter und weniger versessen? Ja, aber ich bin’s nun mal nicht und akzeptiere es.“

parondo melsungen

Es ist nicht zuletzt auch seine beinahe obsessive Akribie und Versessenheit, von der die MT Melsungen nach Jahren der – teuren – Mittelmäßigkeit seit nun vier Spielzeiten zunehmend profitiert: Die Nordhessen sind unter dem Perfektionisten Parrondo nach einem dreijährigen Umbau-Prozess zu einer Spitzenmannschaft geworden. Zu einem echten Team. Und: Aktueller Herbstmeister. Sport-Vorstand Michael Allendorf und sein Erfolgscoach – Parrondo gewann u.a. als Nationaltrainer Ägyptens zweimal die Afrika-Meisterschaft und mit Vardar Skopje die Champions League – haben die strategischen Fehler ihrer Vorgänger in Melsungen abgestellt und basteln an einer Truppe, die nachhaltig im Konzert der Großen mitspielen kann.

Allendorf hatte Parrondo vor vier Jahren als Novize im Management nach einer seinerseits akribischen Vorauswahl und Recherche als persönlichen Wunschkandidaten ausgemacht und später entgegen manch anderer Vorstellungen im Umfeld verpflichtet. Heute sagt er: „Einen besseren Trainer hätte ich zum Einstieg nicht finden können.“ 50 Telefonate habe er damals geführt, mit Leuten, die den Spanier kennen – „alle 50 sprachen positiv von ihm. Da war mir klar: Wenn wir endlich Erfolg haben wollen, kann die Wahl nur auf ihn fallen.“ Parrondo war ein Glücksgriff. Vieles, was die MT inzwischen auszeichnet, vor allem die taktische Präzision und die zunehmende Resilienz ist orchestriert. Der 44-Jährige hat immer einen Plan. Ein Playbook. Mindestens.

Spanische Trainer haben den Ruf, sich und ihre Teams stets so akribisch wie nur irgend möglich vorbereiten zu wollen. Parrondo konfiguriert jede Partie. Und er lebt seiner Mannschaft, seinem gesamten Umfeld vor, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Es ist eine Mischung aus spanischer Handballschule und – Lebensschule: „Mein Vater war Taxifahrer in Madrid, er hat sehr, sehr hart gearbeitet, Doppelgeschichten gemacht, um uns ein sorgenfreies Leben ermöglichen zu können. Er hat mir mitgegeben: Arbeite hart für Deine Familie. Das habe ich verinnerlicht“, erklärt Parrondo. Sein Leben komme ihm – bei allem Stress und aller Verantwortung – schon allein deshalb vor wie ein Traum: „Wie könnte ich mich über etwas beschweren angesichts dessen, was mein Vater geleistet hat? Ich lebe einen Traum, denn Handball ist meine Passion“. Verzicht ist in diesem Kontext relativ. Jedenfalls für ihn.

Parrondo

Selbst einst Topspieler, hat der ehemalige Rechtsaußen bis heute noch immer annähernd sein Kampfgewicht. Parrondo verhält sich betont asketisch im Kreis seiner Spieler und seiner Mitarbeiter – „wie soll ich sonst Disziplin einfordern, wenn ich in ihrer Gegenwart Fastfood esse oder Alkohol trinke?“ Es gibt aber noch einen anderen Grund: Seine Frau Maria del Carmen, genannt: ‚Mamen‘, gilt als sehr gute Köchin. Davon weiß nicht nur Neuzugang Aron Mensing zu berichten, den nicht zuletzt Mamens himmlische Paella zum Wechsel bewogen haben soll. Auch ihr Mann schwärmt davon. „Und weil ich das genießen möchte, muss ich an anderer Stelle wieder etwas mehr aufpassen“, sagt Parrondo schmunzelnd. Wenn er mal selbst kocht, fallen die Gerichte kalorienärmer aus als bei Mamen.     

Wer Parrondo inmitten seiner Familie erlebt, lernt nicht nur andere, der Öffentlichkeit eher unbekannte Seiten an ihm kennen. Er lernt auch verstehen, was dem Spanier wichtig ist. Und ihn auszeichnet. Michael Allendorf bezeichnet ihn zwar als „hundertprozentigen Profi, der nichts dem Zufall überlassen will, was manchmal auch anstrengend sein kann“, doch schon im nächsten Satz auch als „absoluten Familienmenschen“.   




Seine Frau und die beiden Töchter, Leyre und Ainhoa, stehen über allem. Ohne ihren Support – das Ehepaar Parrondo ist für den Handball neunmal umgezogen, hat außerhalb Spaniens auch schon in Ägypten, Ungarn und Nordmazedonien gelebt – „könnte ich meinen Beruf gar nicht derart ausüben. Ich bin ihnen zutiefst dankbar“, sagt der gebürtige Madrilene. Die Töchter besuchen eine internationale Schule und werden absehbar ihren Bachelor machen. Beide spielen in Kassel auch Handball. Sie sind MT-Fans, wie auch ihre Mutter. Bei ihren vielen Umzügen, erzählt Mamen, hätten die Mädchen immer nur mitgenommen, was jeweils in einen Koffer passt. Vieles wurde in der spanischen Heimat gelagert. Dort – nahe Madrid, in Getafe – haben sie weiterhin eine Rückzugsmöglichkeit. Ihren Eltern nahe. Spanien ist Heimat. Familie ist Heimat für die Parrondos, die aus Kairo auch noch die kleine Mischlingshündin ‚Charlie‘ mit nach Deutschland gebracht haben.

familie parondo

Wenn es der Spielplan mal zulässt, fliehen sie vor dem häufigen Nebel der Region Kassel, besonders in den dunklen deutschen Monaten, gerne für ein paar Tage in die Sonne – „das ist für uns Südeuropäer wirklich sehr wichtig“, sagt Mamen, „wie ein Energieschub“, ergänzt Roberto. Dennoch sind sie gerne in Kassel. Fühlt es sich an wie zuhause? „Ja“, sagt er, ohne zu zögern, „sonst wären wir nicht hier. Am wichtigsten ist für meine Frau und mich ohnehin, dass sich unsere Töchter an einem Ort wohlfühlen“. Bisher hat es immer gepasst. „Wir haben großes Glück mit unseren Mädchen. Sie sind ganz wunderbar“, sagt der stolze Vater, „klar, sie sind jetzt Teenager – aber wunderbare Teenager“.

Ob er ein strenger Vater ist? „Ich denke nicht, aber wenn Du meine Töchter fragst, wird die Antwort vermutlich etwas anders ausfallen“, sagt Parrondo schmunzelnd. Und wie meist auf der Trainerbank, antizipiert er auch diesmal richtig: Ja, also manchmal sei er schon etwas strenger, finden die Töchter. „Okay“, räumt der Coach ein, „meine Frau ist vermutlich etwas mehr easy going als ich“. Gibt es da etwa Parallelen zum Job? „Durchaus. Wem ich näher stehe – und das kommt schon mal vor –, zu dem bin ich eher strenger“, sagt er mit Blick auf den ein- oder anderen Spieler. Frag nach bei MT-Spielmacher Erik Balenciaga. An den stelle er schon etwas höhere Ansprüche. Nicht ungewöhnlich, dass es mit den geliebten Kindern erst recht so ist.

Parondo Familie

Ein paar Stunden bei Parrondos lassen keinen Zweifel daran: Das starke Team, an dem er bei der MT Melsungen baut, hat er privat längst um sich. Seine Frau war 17, er 16 Jahre jung, als sie sich kennenlernten. Es gibt keine komplizierten Rollenverteilungen – sie ergänzen sich einfach, wo immer es nötig und möglich ist. „Wer die Ressourcen dafür hat, kümmert sich um die Aufgaben, die in der Familie anstehen“, sagt Parrondo. Job-Sharing: Anders funktioniert das Leben mit einem Profitrainer wie ihm eben nicht. Alles muss passend gemacht werden. Auch die Freizeit. „Spontanität können wir uns selten leisten“, sagt Mamen. Aber sie seien eingespielt. Morgens, wenn die Töchter aus dem Haus sind, gehen sie und ihr Mann ins naheliegende Fitnessstudio: „Im Gym kann ich entspannen“, erklärt er. Auch bei den fest vereinbarten ‚Dinners for Two‘ mit seiner Frau, mindestens einmal pro Woche in einem ihrer Stammlokale in der Nachbarschaft. Oder in der gemeinsamen Zeit mit Freunden, die sie mittlerweile in Kassel gefunden haben.

Man merkt, wenn Parrondo sich entspannt – genauso, wie man ihm anmerkt, wenn er „im Tunnel ist“, sprich: ans nächste Spiel denkt. Wenn er sich wohlfühlt, gibt der Mann, in dem Aufsichtsrat-Mitglied Andreas Walde gar „ein wenig den Pep Guardiola des Handballs“ erkennen mag, gerne auch mal die sonst übliche Distanz auf. Wie bei der Weihnachtsfeier 2023, als er plötzlich die Gitarre hervorholte und mit seiner Frau (Gesang) die letzten Verbliebenen des Abends mit Flamenco-Stücken unterhielt. „Es waren nur noch wenige Gäste anwesend, da wurde ich lockerer und mutiger“, erklärt Parrondo. „Spieler“, erinnert er sich, „waren nicht mehr da“. Würde er für die nicht spielen? „Vielleicht schon. Aber dann müsste ich einen Monat Zeit haben, etwas einzustudieren. Denn wenn ich etwas mache vor einem größeren Publikum, soll es auch gut werden“, sagt er. Und dann, augenrollend: „Mein Perfektionismus …“

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