MT Melsungen -- Michael Allendorf, Ex-Nationalapieler, Europameister, Vize-Weltmeister, heute Sportvorstand des Handball-Bundesligisten MT Melsungen
„Fühle mich an Olympia erinnert – und das stimmt mich optimistisch“
- Michael Allendorf
In der Analyse zum Ende der Hauptrunde stehen die drei Gruppenspiele der deutschen Mannschaft sowie der Ausblick auf das Viertelfinale im Fokus. Und, mit etwas Optimismus, auch schon ein mögliches „Re-Match“ gegen Dänemark.
Liebe Leserinnen und Leser,
die Hauptrunde dieser Drei-Länder-WM in Dänemark, Norwegen und Kroatien liegt hinter uns, die deutsche Mannschaft hat ihr Pflichtprogramm erfüllt und mich dabei an ihre Auftritte bei den Olympischen Spielen erinnert. Und das stimmt mich optimistisch, denn in Paris schaffte es das Team von Alfred Gislason bekanntermaßen bis ins Finale.
Ich hatte nach der Vorrunde ein positives Fazit mit Einschränkungen gezogen – nach den jüngsten drei Partien verhält es sich ähnlich: Die DHB-Auswahl hat nicht unbedingt geglänzt, ihr Gesamtauftritt durchaus noch Steigerungspotenzial. Aber die Optionen für erfolgreiche K.O.- Spiele sind erkennbar. Auch in Paris hat unsere Mannschaft ja nicht immer ausnahmslos überzeugt, sich aber als nervenstark und stressfest erwiesen – was ihr dann im Viertel- und Halbfinale sehr zugute kam. Dort hatte sie eine besondere Dynamik entfacht, der Höhepunkt war der Krimi gegen Gastgeber Frankreich in der Runde der letzten Acht – und einen vergleichbaren Verlauf traue ich dem Team um Kapitän Johannes Golla auch diesmal zu, wenngleich ein Duell mit einem der Turniergastgeber diesmal erst im Halbfinale warten würde. Zunächst müssen wir Portugal schlagen.
Wie schon bei Olympia kann sich Gislasons Team auch bei der WM auf ein sehr starkes Torwartgespann stützen. Das Duo Wolff/Späth ist eine große Hilfe und sehr verlässlich. Einer der beiden erweist sich quasi immer als entscheidender Rückhalt hinter unserer – zugegeben noch nicht perfekten – Abwehr. Nur bei der klaren Niederlage gegen die Dänen standen beide auf verlorenem Posten, nicht zuletzt aber auch, weil sie so gut wie keine Hilfe ihrer Vorderleute bekamen. Aber gegen Italien und Tunesien waren unsere Keeper wieder voll da. Worauf wir uns auch verlassen können: In jedem Spiel entpuppen sich einzelne Feldspieler mit starken Leistungen als potenzielle Matchwinner. Julian Köster, Juri Knorr, Renars Uscins, … – auch das erinnert mich stark an die Olympischen Spiele im letzten Sommer. Wir haben vielleicht nicht diesen ‚Go-to-Guy‘, der in jedem Spiel die Kohlen aus dem Feuer holt. Aber genau das kann auch ein Vorteil sein: Die Unberechenbarkeit macht das Team stärker, weil schwerer ausrechenbar. Siehe Olympia.
Die Teamleistung ist zwar noch lange nicht optimal, aber auch das kann man ja durchaus auch als gute Nachricht begreifen. Denn dass die deutsche Mannschaft Alles-oder-Nichts-Spiele kann, hat sie sowohl in Paris als auch jüngst in Herning bewiesen. Ich erinnere nur an das 34:27 im zweiten Hauptrundenspiel gegen Italien, das ja nach der deutlichen 30:40-Klatsche gegen die Dänen, die wir leider in keiner Phase der Partie einmal wirklich stressen konnten, ein Endspiel ums Viertelfinale war.
Zugegeben: So ganz sicher war ich mir nicht, wie wir gegen diese unbekümmerten und teilweise wie entfesselten Außenseiter, die nichts zu verlieren hatten, abschneiden würden – allerdings habe ich aus den schon genannten Gründen auch nicht zu sehr gezweifelt an einem erfolgreichen Ausgang. Und wurde bestätigt: Einmal mehr hielten die Jungs dem Druck stand und erreichten dank einer sehr soliden zweiten Halbzeit das Mindestziel dann letztlich doch recht ungefährdet. Auch ohne Juri Knorr, der ja zwischenzeitlich ausfiel und hinter dessen Rückkehr ins Team noch ein Fragezeichen stand, als ich diese Kolumne geschrieben habe.
Juri ist, wenn er richtig fit ist, schon ein absoluter Unterschiedsspieler, der uns gegen Top-Mannschaften fehlen würde. Ehrlicherweise konnte man gegen Tunesien auch nicht wirklich Alternativen testen – das 31:19 am Samstagabend war letztlich ein Spiel ohne Wert. Selbst der Begriff ‚Trainingsspiel‘ trifft es in diesem Kontext nicht, denn eine Vorbereitung auf die viel, viel stärkeren und ja auch ganz anders spielenden Portugiesen war die Abschlusspartie nicht. Da ließ sich nichts simulieren.
Nun also Portugal. Diese Mannschaft hat bislang sehr stark gespielt und in den beiden Shootingstars, den Costa-Brüdern Francisco und Martim, natürlich herausragende Akteure. Es wäre aber ein Fehler, die Portugiesen auf dieses Rückraum-Paar zu reduzieren. Nein, sie bringen schon sehr viel mehr mit, was ihren WM-Erfolg erklärt. Vor allem aber ist Portugal ein Beleg für meine Eingangsthese, dass neben den üblichen Favoriten bei dieser WM auch ein paar Teams sehr weit kommen können, mit denen man nicht gerechnet hat, weil sie frischer und unangestrengter zu Werke gehen können als die Topteams mit all ihren über Gebühr beanspruchten Topstars. Solche sind die Costa-Brüder schon auch – und, ja: sie spielen mit Sporting Lissabon Champions League. Doch in der heimischen Liga werden sie nicht annähernd so gefordert wie die vielen internationalen Ausnahmespieler, die in unserer Bundesliga tätig sind.
Portugal und Brasilien – sie setzten sich in ihrer Gruppe überraschenderweise gegen Schweden und Spanien durch, ließen zudem auch noch die einst sehr starken Norweger hinter sich – sind diese vermeintlichen, von mir erwarteten Außenseiter, die es mit großer Leidenschaft und einer großen Portion Frische weit gebracht haben bei dieser WM. Auch Italien passt übrigens in diese Reihe. Dennoch traue ich der DHB-Auswahl zu, sich gegen Portugal durchzusetzen. Zumal dann, wenn sie nun in Oslo noch mehr von dem aus sich herausholt, was in ihr steckt. Wir müssen uns nicht als ‚Underdog‘ fühlen am Mittwoch. Und dann dürfte es bei allem Respekt vor Brasilien in einem möglichen Halbfinale erneut zum Duell mit Dänemark kommen. Diesmal trotz der Nähe Dänemarks zum Nachbarn Norwegen auf neutralem Boden und unter anderen Vorzeichen als in der Gruppenphase in Herning, wo ich noch keinen deutschen Erfolg für möglich gehalten hatte. Erneut veranlasst mich die Erinnerung an Paris 2024 aber zu glauben, dass ein ‚Re-Match‘ gegen die Übermannschaft um Matias Gidsel genau dieses eine von zehn Spielen sein könnte, in dem wir eine reelle Chance haben, zu gewinnen. Wer hatte schon damit gerechnet, dass wir Olympia-Gastgeber Frankreich letztes Jahr aus dem Wettbewerb werfen?
Ich hoffe, die angeschlagenen Spieler werden rechtzeitig fit – das wünsche ich übrigens allen Spielern, nicht nur denen der DHB-Auswahl – und freue mich auf ein tolles Viertelfinale gegen Portugal. Ich glaube daran: Es wird nicht der letzte Auftritt der deutschen Mannschaft sein.
In diesem Sinne: Bis bald. Ich melde mich nach dem Viertelfinale wieder zu Wort.
Euer Michael Allendorf!
Zur Person: Michael Allendorf
Michael Allendorf, Jahrgang 1986, spielte in der Bundesliga für die SG Wallau-Massenheim, die HSG Wetzlar sowie für MT Melsungen. Der Linksaußen kam auf insgesamt 493 Einsätze und erzielte 1.595 Tore. Für die A-Nationalmannschaft spielte er 17mal und warf 26 Tore. Seine größten Erfolge feierte der gebürtige Heppenheimer mit der A-Jugend Wallau-Massenheims (Deutscher Meister 2005) sowie als Junioren-Nationalspieler (Europameister 2006, Vize-Weltmeister 2007). In der letzten Saison seiner aktiven Laufbahn (2021/2022) schnupperte Allendorf bereits Manager-Luft als Assistent der Geschäftsleitung. Danach wechselte er komplett auf die Manager-Seite. Inzwischen verantwortet er als Sport-Vorstand der MT den Bundesligabereich der Nordhessen.
die Hauptrunde dieser Drei-Länder-WM in Dänemark, Norwegen und Kroatien liegt hinter uns, die deutsche Mannschaft hat ihr Pflichtprogramm erfüllt und mich dabei an ihre Auftritte bei den Olympischen Spielen erinnert. Und das stimmt mich optimistisch, denn in Paris schaffte es das Team von Alfred Gislason bekanntermaßen bis ins Finale.
Ich hatte nach der Vorrunde ein positives Fazit mit Einschränkungen gezogen – nach den jüngsten drei Partien verhält es sich ähnlich: Die DHB-Auswahl hat nicht unbedingt geglänzt, ihr Gesamtauftritt durchaus noch Steigerungspotenzial. Aber die Optionen für erfolgreiche K.O.- Spiele sind erkennbar. Auch in Paris hat unsere Mannschaft ja nicht immer ausnahmslos überzeugt, sich aber als nervenstark und stressfest erwiesen – was ihr dann im Viertel- und Halbfinale sehr zugute kam. Dort hatte sie eine besondere Dynamik entfacht, der Höhepunkt war der Krimi gegen Gastgeber Frankreich in der Runde der letzten Acht – und einen vergleichbaren Verlauf traue ich dem Team um Kapitän Johannes Golla auch diesmal zu, wenngleich ein Duell mit einem der Turniergastgeber diesmal erst im Halbfinale warten würde. Zunächst müssen wir Portugal schlagen.
Wie schon bei Olympia kann sich Gislasons Team auch bei der WM auf ein sehr starkes Torwartgespann stützen. Das Duo Wolff/Späth ist eine große Hilfe und sehr verlässlich. Einer der beiden erweist sich quasi immer als entscheidender Rückhalt hinter unserer – zugegeben noch nicht perfekten – Abwehr. Nur bei der klaren Niederlage gegen die Dänen standen beide auf verlorenem Posten, nicht zuletzt aber auch, weil sie so gut wie keine Hilfe ihrer Vorderleute bekamen. Aber gegen Italien und Tunesien waren unsere Keeper wieder voll da. Worauf wir uns auch verlassen können: In jedem Spiel entpuppen sich einzelne Feldspieler mit starken Leistungen als potenzielle Matchwinner. Julian Köster, Juri Knorr, Renars Uscins, … – auch das erinnert mich stark an die Olympischen Spiele im letzten Sommer. Wir haben vielleicht nicht diesen ‚Go-to-Guy‘, der in jedem Spiel die Kohlen aus dem Feuer holt. Aber genau das kann auch ein Vorteil sein: Die Unberechenbarkeit macht das Team stärker, weil schwerer ausrechenbar. Siehe Olympia.
Die Teamleistung ist zwar noch lange nicht optimal, aber auch das kann man ja durchaus auch als gute Nachricht begreifen. Denn dass die deutsche Mannschaft Alles-oder-Nichts-Spiele kann, hat sie sowohl in Paris als auch jüngst in Herning bewiesen. Ich erinnere nur an das 34:27 im zweiten Hauptrundenspiel gegen Italien, das ja nach der deutlichen 30:40-Klatsche gegen die Dänen, die wir leider in keiner Phase der Partie einmal wirklich stressen konnten, ein Endspiel ums Viertelfinale war.
Zugegeben: So ganz sicher war ich mir nicht, wie wir gegen diese unbekümmerten und teilweise wie entfesselten Außenseiter, die nichts zu verlieren hatten, abschneiden würden – allerdings habe ich aus den schon genannten Gründen auch nicht zu sehr gezweifelt an einem erfolgreichen Ausgang. Und wurde bestätigt: Einmal mehr hielten die Jungs dem Druck stand und erreichten dank einer sehr soliden zweiten Halbzeit das Mindestziel dann letztlich doch recht ungefährdet. Auch ohne Juri Knorr, der ja zwischenzeitlich ausfiel und hinter dessen Rückkehr ins Team noch ein Fragezeichen stand, als ich diese Kolumne geschrieben habe.
Juri ist, wenn er richtig fit ist, schon ein absoluter Unterschiedsspieler, der uns gegen Top-Mannschaften fehlen würde. Ehrlicherweise konnte man gegen Tunesien auch nicht wirklich Alternativen testen – das 31:19 am Samstagabend war letztlich ein Spiel ohne Wert. Selbst der Begriff ‚Trainingsspiel‘ trifft es in diesem Kontext nicht, denn eine Vorbereitung auf die viel, viel stärkeren und ja auch ganz anders spielenden Portugiesen war die Abschlusspartie nicht. Da ließ sich nichts simulieren.
Nun also Portugal. Diese Mannschaft hat bislang sehr stark gespielt und in den beiden Shootingstars, den Costa-Brüdern Francisco und Martim, natürlich herausragende Akteure. Es wäre aber ein Fehler, die Portugiesen auf dieses Rückraum-Paar zu reduzieren. Nein, sie bringen schon sehr viel mehr mit, was ihren WM-Erfolg erklärt. Vor allem aber ist Portugal ein Beleg für meine Eingangsthese, dass neben den üblichen Favoriten bei dieser WM auch ein paar Teams sehr weit kommen können, mit denen man nicht gerechnet hat, weil sie frischer und unangestrengter zu Werke gehen können als die Topteams mit all ihren über Gebühr beanspruchten Topstars. Solche sind die Costa-Brüder schon auch – und, ja: sie spielen mit Sporting Lissabon Champions League. Doch in der heimischen Liga werden sie nicht annähernd so gefordert wie die vielen internationalen Ausnahmespieler, die in unserer Bundesliga tätig sind.
Portugal und Brasilien – sie setzten sich in ihrer Gruppe überraschenderweise gegen Schweden und Spanien durch, ließen zudem auch noch die einst sehr starken Norweger hinter sich – sind diese vermeintlichen, von mir erwarteten Außenseiter, die es mit großer Leidenschaft und einer großen Portion Frische weit gebracht haben bei dieser WM. Auch Italien passt übrigens in diese Reihe. Dennoch traue ich der DHB-Auswahl zu, sich gegen Portugal durchzusetzen. Zumal dann, wenn sie nun in Oslo noch mehr von dem aus sich herausholt, was in ihr steckt. Wir müssen uns nicht als ‚Underdog‘ fühlen am Mittwoch. Und dann dürfte es bei allem Respekt vor Brasilien in einem möglichen Halbfinale erneut zum Duell mit Dänemark kommen. Diesmal trotz der Nähe Dänemarks zum Nachbarn Norwegen auf neutralem Boden und unter anderen Vorzeichen als in der Gruppenphase in Herning, wo ich noch keinen deutschen Erfolg für möglich gehalten hatte. Erneut veranlasst mich die Erinnerung an Paris 2024 aber zu glauben, dass ein ‚Re-Match‘ gegen die Übermannschaft um Matias Gidsel genau dieses eine von zehn Spielen sein könnte, in dem wir eine reelle Chance haben, zu gewinnen. Wer hatte schon damit gerechnet, dass wir Olympia-Gastgeber Frankreich letztes Jahr aus dem Wettbewerb werfen?
Ich hoffe, die angeschlagenen Spieler werden rechtzeitig fit – das wünsche ich übrigens allen Spielern, nicht nur denen der DHB-Auswahl – und freue mich auf ein tolles Viertelfinale gegen Portugal. Ich glaube daran: Es wird nicht der letzte Auftritt der deutschen Mannschaft sein.
In diesem Sinne: Bis bald. Ich melde mich nach dem Viertelfinale wieder zu Wort.
Euer Michael Allendorf!
Zur Person: Michael Allendorf
Michael Allendorf, Jahrgang 1986, spielte in der Bundesliga für die SG Wallau-Massenheim, die HSG Wetzlar sowie für MT Melsungen. Der Linksaußen kam auf insgesamt 493 Einsätze und erzielte 1.595 Tore. Für die A-Nationalmannschaft spielte er 17mal und warf 26 Tore. Seine größten Erfolge feierte der gebürtige Heppenheimer mit der A-Jugend Wallau-Massenheims (Deutscher Meister 2005) sowie als Junioren-Nationalspieler (Europameister 2006, Vize-Weltmeister 2007). In der letzten Saison seiner aktiven Laufbahn (2021/2022) schnupperte Allendorf bereits Manager-Luft als Assistent der Geschäftsleitung. Danach wechselte er komplett auf die Manager-Seite. Inzwischen verantwortet er als Sport-Vorstand der MT den Bundesligabereich der Nordhessen.
Weiterführende Informationen zum olympischen Handballturnier
Kolumne Teil 1: Brust raus, Nase nicht zu hoch
Kolumne Teil 2: „Pflicht Teil 1 erfüllt, Luft nach oben vorhanden“
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