MT Melsungen -- Michael Allendorf, Ex-Nationalapieler, Europameister, Vize-Weltmeister, heute Sportvorstand des Handball-Bundesligisten MT Melsungen
„Schade! Aber es fehlte in mehreren Bereichen die letzte Konsequenz“
- Michael Allendorf
In der Analyse des Viertelfinal-Krimis der deutschen Handball-Nationalmannschaft gegen Portugal werden die Gründe für das Ausscheiden des DHB-Teams beleuchtet. Schon die Verlängerung hätte sich die Mannschaft ersparen können.
Liebe Leserinnen und Leser,
die positive Nachricht, wenn man diesem Viertelfinalkrimi ohne Happy End eine abringen kann, vorweg: Auch gegen Portugal stimmte einmal mehr die Moral in der deutschen Mannschaft. Wer nach solch einem schlechten Start – trotz sieben Paraden von Andreas Wolff stand es nach einer guten Viertelstunde 3:7, was Bände spricht über die Leistung des DHB-Teams bis zu diesem Zeitpunkt – so zurückkommt, hat sich in Sachen Einsatzwillen und Charakter wenig vorzuwerfen.
Dass die Jungs nach der wenig ermutigenden ersten Halbzeit und dem 9:13-Rückstand später sogar 22:20 in Führung gehen und die Chance auf das Halbfinale wiederbeleben würden, hätte ich ihr nach 15 Minuten nicht mehr zugetraut. Die Mannschaft von Alfred Gislason hatte sich richtig zurückgekämpft in diese Partie, gestützt auf ihren überragenden Torhüter und auf helle Momente einzelner Spieler. Noch dazu waren die Portugiesen geschwächt durch die rote Karte gegen Luis Frade. Das Spiel schien auf unsere Seite zu kippen.
Doch als die DHB-Auswahl mehrmals die Chance zum 23:20 hatte, brachte sie sich durch undisziplinierte Aktionen und Konzentrationsmängel leider um diesen vielleicht entscheidenden Moment. Danach nämlich holten unser Team die Unzulänglichkeiten wieder ein, die schon zuvor zu beobachten waren: Es fehlte in vielen Bereichen einfach die letzte Konsequenz – das letzte Zupacken, der letzte Schritt, die letzte Beweglichkeit. Vor allem in der Abwehr wurde das offenkundig. Es gingen zu viele Zweikämpfe verloren, zu viele Abpraller landeten wieder beim Gegner und zu viele Kreis-Anspiele kamen durch.
Natürlich sind die Costa-Brüder überragende Spieler, natürlich ist das Kreisläuferspiel und das Angriffstempo der Portugiesen sehr stark – aber dennoch hätten unsere Jungs das besser und kompakter verteidigen können – ja: müssen. Ich habe auch ein paar Prozent Körpereinsatz mehr vermisst. Die Portugiesen hätten viel häufiger rechtzeitig festgemacht werden müssen. Dieses Versäumnis führte dann ja fast folgerichtig auch zum entscheidenden 30:31 durch Martim Costa – beinahe ein Buzzer Beater mit Ansage. Doch auch schon vorher wurde das portugiesische Spiel nicht konsequent genug gestört. Nur durch Andy Wolffs sensationelle Leistung konnte dies einigermaßen kompensiert werden.
Da es aber auch Mängel im Gegenstoß- und Angriffsspiel gab – uns fehlten insgesamt Tempo, Bewegung und eine bessere Wurfvorbereitung –, reichten Wolffs Auftritt und die guten Momente von Juri Knorr, Julius Köster, Johannes Golla und Lukas Zerbe letztendlich nicht zum Erreichen des Halbfinales.
In Sachen Wurfdisziplin und -Verantwortung hatte diesmal ein Junge keine gute Bilanz, dessen Elan und Unbekümmertheit uns alle – auch mich – bei Olympia begeistert hat: Es war diesmal sicher nicht das Turnier und vor allem mit Blick auf Mittwochabend nicht das Spiel von Renars Uscins, der mit seinen Toren und seiner Nervenstärke entscheidend zum Gewinn der Silbermedaille in Paris beigetragen hatte. Er war trotz seines jungen Alters schon so oft Matchwinner der DHB-Auswahl. Und dass er zuletzt stets viel Wurfverantwortung übernehmen musste, prägte sein Selbstverständnis. Aber diesmal hat er es damit übertrieben, allen Fehlversuchen zum Trotz weiter den schnellen Abschluss zu suchen. Das ging leider schief. Er hätte zudem auch mehr Entlastung gebraucht, die er bei dieser WM aber nicht hatte.
Es darf und wird ihm niemand übelnehmen, schon gar nicht ich. Zumal er ja nicht ganz alleine dasteht mit überhasteten Würfen. Renars ist extrem weit – aber seine Entwicklung ist immer noch nicht abgeschlossen, das vergisst man nur schnell angesichts seiner vielen überragenden Spiele in den letzten zwei Jahren. Bei der WM hat er weitere Erfahrung gesammelt. Vor allem in Sachen Cleverness.
Apropos fehlende Cleverness: Andy Wolffs Ärger, der mehrmals zu erkennen war, bezog sich nach meiner Wahrnehmung vor allem auf etliche unnötige Fouls seiner Vorderleute, die verhinderten, dass seine Paraden zum Ballbesitz führten. Würfe, die er ohnehin pariert hätte an dem Abend endeten so doch noch mit einer Bestrafung gegen die deutsche Mannschaft. Dadurch jedenfalls entstand in kürzester Abfolge die doppelte Unterzahl, die nach dem Führungswechsel zu Gunsten des DHB-Teams das Pendel wieder in Richtung der Portugiesen umschlagen ließ.
Abschließend muss man festhalten, dass sich auch der Bundestrainer in die kritische Analyse einbeziehen sollte – und sicher auch wird. Das gehört nun mal dazu. Insbesondere, wenn es um das Thema Auszeiten geht, von denen die Mannschaft anscheinend nicht so profitierte. Bestimmt wird Alfred sich auch selbst hinterfragen. Er ist ein erfahrener Trainer.
Gleichzeitig sollte man diesem Match jetzt nicht zu viel Aussagekraft andichten, nicht zu hochtragende Rückschlüsse ziehen. Das Spiel gegen Portugal allein ist noch kein Fingerzeig in die falsche Richtung, es hing ja am seidenen Faden. Eine sachliche Einordnung des gesamten Turnier-Auftritts indes ist da sicher viel zielführender.
Mehr dazu, mit etwas Abstand zur gestrigen Enttäuschung, auch noch einmal nach dem Finale. Schaut noch mal rein in meine Abschlusskolumne. Bis dann!
die positive Nachricht, wenn man diesem Viertelfinalkrimi ohne Happy End eine abringen kann, vorweg: Auch gegen Portugal stimmte einmal mehr die Moral in der deutschen Mannschaft. Wer nach solch einem schlechten Start – trotz sieben Paraden von Andreas Wolff stand es nach einer guten Viertelstunde 3:7, was Bände spricht über die Leistung des DHB-Teams bis zu diesem Zeitpunkt – so zurückkommt, hat sich in Sachen Einsatzwillen und Charakter wenig vorzuwerfen.
Dass die Jungs nach der wenig ermutigenden ersten Halbzeit und dem 9:13-Rückstand später sogar 22:20 in Führung gehen und die Chance auf das Halbfinale wiederbeleben würden, hätte ich ihr nach 15 Minuten nicht mehr zugetraut. Die Mannschaft von Alfred Gislason hatte sich richtig zurückgekämpft in diese Partie, gestützt auf ihren überragenden Torhüter und auf helle Momente einzelner Spieler. Noch dazu waren die Portugiesen geschwächt durch die rote Karte gegen Luis Frade. Das Spiel schien auf unsere Seite zu kippen.
Doch als die DHB-Auswahl mehrmals die Chance zum 23:20 hatte, brachte sie sich durch undisziplinierte Aktionen und Konzentrationsmängel leider um diesen vielleicht entscheidenden Moment. Danach nämlich holten unser Team die Unzulänglichkeiten wieder ein, die schon zuvor zu beobachten waren: Es fehlte in vielen Bereichen einfach die letzte Konsequenz – das letzte Zupacken, der letzte Schritt, die letzte Beweglichkeit. Vor allem in der Abwehr wurde das offenkundig. Es gingen zu viele Zweikämpfe verloren, zu viele Abpraller landeten wieder beim Gegner und zu viele Kreis-Anspiele kamen durch.
Natürlich sind die Costa-Brüder überragende Spieler, natürlich ist das Kreisläuferspiel und das Angriffstempo der Portugiesen sehr stark – aber dennoch hätten unsere Jungs das besser und kompakter verteidigen können – ja: müssen. Ich habe auch ein paar Prozent Körpereinsatz mehr vermisst. Die Portugiesen hätten viel häufiger rechtzeitig festgemacht werden müssen. Dieses Versäumnis führte dann ja fast folgerichtig auch zum entscheidenden 30:31 durch Martim Costa – beinahe ein Buzzer Beater mit Ansage. Doch auch schon vorher wurde das portugiesische Spiel nicht konsequent genug gestört. Nur durch Andy Wolffs sensationelle Leistung konnte dies einigermaßen kompensiert werden.
Da es aber auch Mängel im Gegenstoß- und Angriffsspiel gab – uns fehlten insgesamt Tempo, Bewegung und eine bessere Wurfvorbereitung –, reichten Wolffs Auftritt und die guten Momente von Juri Knorr, Julius Köster, Johannes Golla und Lukas Zerbe letztendlich nicht zum Erreichen des Halbfinales.
In Sachen Wurfdisziplin und -Verantwortung hatte diesmal ein Junge keine gute Bilanz, dessen Elan und Unbekümmertheit uns alle – auch mich – bei Olympia begeistert hat: Es war diesmal sicher nicht das Turnier und vor allem mit Blick auf Mittwochabend nicht das Spiel von Renars Uscins, der mit seinen Toren und seiner Nervenstärke entscheidend zum Gewinn der Silbermedaille in Paris beigetragen hatte. Er war trotz seines jungen Alters schon so oft Matchwinner der DHB-Auswahl. Und dass er zuletzt stets viel Wurfverantwortung übernehmen musste, prägte sein Selbstverständnis. Aber diesmal hat er es damit übertrieben, allen Fehlversuchen zum Trotz weiter den schnellen Abschluss zu suchen. Das ging leider schief. Er hätte zudem auch mehr Entlastung gebraucht, die er bei dieser WM aber nicht hatte.
Es darf und wird ihm niemand übelnehmen, schon gar nicht ich. Zumal er ja nicht ganz alleine dasteht mit überhasteten Würfen. Renars ist extrem weit – aber seine Entwicklung ist immer noch nicht abgeschlossen, das vergisst man nur schnell angesichts seiner vielen überragenden Spiele in den letzten zwei Jahren. Bei der WM hat er weitere Erfahrung gesammelt. Vor allem in Sachen Cleverness.
Apropos fehlende Cleverness: Andy Wolffs Ärger, der mehrmals zu erkennen war, bezog sich nach meiner Wahrnehmung vor allem auf etliche unnötige Fouls seiner Vorderleute, die verhinderten, dass seine Paraden zum Ballbesitz führten. Würfe, die er ohnehin pariert hätte an dem Abend endeten so doch noch mit einer Bestrafung gegen die deutsche Mannschaft. Dadurch jedenfalls entstand in kürzester Abfolge die doppelte Unterzahl, die nach dem Führungswechsel zu Gunsten des DHB-Teams das Pendel wieder in Richtung der Portugiesen umschlagen ließ.
Abschließend muss man festhalten, dass sich auch der Bundestrainer in die kritische Analyse einbeziehen sollte – und sicher auch wird. Das gehört nun mal dazu. Insbesondere, wenn es um das Thema Auszeiten geht, von denen die Mannschaft anscheinend nicht so profitierte. Bestimmt wird Alfred sich auch selbst hinterfragen. Er ist ein erfahrener Trainer.
Gleichzeitig sollte man diesem Match jetzt nicht zu viel Aussagekraft andichten, nicht zu hochtragende Rückschlüsse ziehen. Das Spiel gegen Portugal allein ist noch kein Fingerzeig in die falsche Richtung, es hing ja am seidenen Faden. Eine sachliche Einordnung des gesamten Turnier-Auftritts indes ist da sicher viel zielführender.
Mehr dazu, mit etwas Abstand zur gestrigen Enttäuschung, auch noch einmal nach dem Finale. Schaut noch mal rein in meine Abschlusskolumne. Bis dann!
Euer Michael Allendorf!
Zur Person: Michael Allendorf
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