Aufgeben oder kämpfen - Handballprofi Alexander Petersson im Portrait Rhein Neckar Löwen -- Alexander Petersson schuftet im Kraftraum
„Zwei Stimmen im Kopf: Die eine möchte aufgeben, die andere will kämpfen.“

Aufgeben oder kämpfen - Handballprofi Alexander Petersson im Portrait

  • Rüdiger Ofenloch
Alexander Petersson, Rückraum-Schütze des zweifachen Handball-Meisters Rhein-Neckar Löwen, spielt seit mehr als einem Jahrzehnt auf Weltklasse-Niveau. Im Juli wird er 39 Jahre alt. Wir haben mit ihm über die Geheimnisse seiner Fitness gesprochen.
In diesem Sommer werden es 16 Jahre. 16 Jahre, die Alexander Petersson in der Handball-Bundesliga spielt. Und das auf höchstem Niveau. In rund 450 Spielen hat er weit über 1.500 Tore erzielt. Viele davon musste er sich hart erarbeiten, im Duell Mann gegen Mann. Denn Alexander Petersson, ist mit seinen 1,86 Metern niemand, der einfach hochsteigen und über die gegnerischen Abwehrspieler werfen kann. Er ist ein Handball-Fighter. Und das nicht nur auf dem Feld.

Begibt man sich auf die Suche nach dem Geheimnis seiner Fitness, kommt man an zwei Begriffen nicht vorbei: Ehrgeiz und Disziplin. Wenn man so lange wie er auf so hohem Niveau spielt, müsse viel zusammenkommen, erklärt Alex. „Man muss das Ziel haben, das zu schaffen, und den Willen, dieses Ziel unbedingt zu erreichen.“ Seine Strategie ist das perfektionierte Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Dabei geht es um genügend Schlaf, gesunde Ernährung, eine insgesamt äußerst disziplinierte Lebensweise – und eine glückliche, ihn unterstützende Familie. „Ohne die“, stellt Alex Petersson klar, „wäre das alles nicht zu schaffen.“

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Das Ergebnis können Teamkollegen und Trainer Jahr für Jahr beim Trainingsauftakt bestaunen. Wenn es Mitte Juli auf die Laufbahn hinter der Trainingshalle im Sportzentrum Kronau geht, zeigt sich, wer im Sommerurlaub nur auf der faulen Haut gelegen und wer etwas für seine Fitness gemacht hat. Alexander Petersson schneidet dabei regelmäßig als einer der Besten ab. Sein Körper, das bestätigen Ärzte und Physiotherapeuten immer wieder, ähnelt mehr dem eines 20-Jährigen als dem eines Enddreißigers. Lohn für harte Arbeit. Motivation für noch mehr harte Arbeit.

Die Tage im Leben des Alexander Petersson folgen dem strengen Rhythmus eines Musterprofis. 8.30 Uhr aufstehen. Konzentrierte Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren, Curcuma, Algen, danach Spiegeleier und Bananen. 11 Uhr Training. 13 Uhr Mittagessen: Salatbüffet, gerne gehaltvoll, wahlweise mit Thunfisch oder Hähnchenbruststreifen. Nachmittags gibt es Kaffee, hin und wieder einen Apfel. Abends folgt, als Familienritual, das gemeinsame Essen bis circa 19 Uhr – auch das mit Rücksicht auf den Leitsatz, möglichst wenige Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Dies gilt auch für den Fernsehabend zum Tagesschluss. Geknabbert werden dann keine Chips oder Gummibärchen, sondern Mandarinen, Äpfel, zuckerfreie Schokolade.

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Wie schwer es fällt, sich an diesen Plan zu halten? „Eigentlich nicht besonders“, sagt Alex. Er esse schon gerne lecker und freue sich auf die wenigen Ausnahmen, wenn es mal selbst gegrillte Burger oder Pizza gebe. Andererseits habe er kein Problem damit, es beim Essen einfach zu halten. „Ich habe nichts gegen belegte Brötchen“, sagt er. Wenn die jüngeren Kollegen nach einem harten Spiel über die an den Bus bestellte Pizza herfallen, hält er sich an seinen Plan und greift zu Schnitzel mit Salat. „Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden. Ich war als junger Spieler nicht anders.“

Sieht man Alexander Petersson heute, der mit bald 39 Jahren auf dem Buckel regelmäßig die gegnerischen Abwehrreihen durchstößt wie ein gut geschliffenes Schwert eine rostig und spröde gewordene Rüstung, kann man diesen Satz kaum glauben. Aber es gab tatsächlich schon ganz andere Zeiten in Alex‘ Leben. Die Tage der tatsächlichen Jugend, in denen man essen konnte, was man wollte, und man nahm und nahm nicht zu. „Ich habe immer gespielt und dabei alles verbrannt, was ich gegessen habe“, erinnert er sich. Es war ein leichtes, teils auch ein leichtsinniges Leben. Bis das Alter erstmals zuschlug. Und die rechte Schulter streikte.

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2008, damals noch in Diensten der SG Flensburg-Handewitt, musste sich Alex erstmals an der Schulter operieren lassen. Er verpasste fast ein ganzes Jahr. 2013 erwischte es ihn wieder an dem so empfindlichen Gelenk, diesmal auf der linken Seite. Damals war er kaum zwölf Monate bei den Löwen. In Anbetracht der Schwere der Verletzung munkelte man vom Karriereende. Dass ein Spieler, der so von seiner Physis lebt, nach einer zweiten großen Schulter-OP noch einmal zurückkommt, hielten die meisten Handball-Berichterstatter für kaum vorstellbar.

Und was machte Alexander Petersson? Er biss auf die Zähne. Und schuftete. Und schuftete. „Dass die Leute das geschrieben und gesagt haben, hat mich nur zusätzlich motiviert. Ich wollte unbedingt zurückkommen und allen zeigen, dass es noch lange nicht vorbei ist mit mir.“ Mit 33 Jahren entschied sich Alex gegen den Ruhestand – und für noch mehr Disziplin. „Ich habe gemerkt, dass ich etwas extra machen muss, habe mir sehr viele Tipps geholt bei verschiedenen Ärzten und Physiotherapeuten, aber auch bei Handballern, die eine ähnliche Verletzung gehabt haben.“ Das Ergebnis: Der angeblich fürs Altenteil bestimmte Herr Petersson kam zurück. Und wie!

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Bei den Löwen entwickelte sich Alex in den Jahren nach seiner Verletzung zu einem der Top-Torjäger. Aber nicht nur das. Mit seiner Erfahrung und seiner mitreißenden Spielweise wurde er zu einer prägenden Figur, gestaltete die erfolgreichsten Jahre des Vereins maßgeblich mit. Und das nicht nur im Angriff. Eines seiner „Meisterstücke“ in der Abwehr machte er im Final Four um den DHB-Pokal, als er im Halbfinale den überragenden Magdeburger Shooter Michael Damgaard ausschaltete und den ersten Pokalsieg der Löwen im elften Anlauf auf den Weg brachte.

Den Kraftakt, mit bald Mitte 30 gegen das drohende Karriereende anzukämpfen, hat er über solche Erfolge nie vergessen. „Das war eine sehr, sehr schwere Zeit, vor allem auch mental. Wenn du ein Jahr warten musst, bis die Schmerzen weggehen, dann nagt das an dir. Da musst du gegen die bösen Stimmen im Kopf angehen. Die eine Stimme möchte aufgeben, die andere will kämpfen.“ Geholfen habe ihm dabei auch sein Trainer. Nikolaj Jacobsen nahm große Rücksicht auf seinen verletzten Haudegen, schonte ihn im Training, gab ihm alle Zeit der Welt für sein Comeback. „Mit einem anderen Trainer“, sagt Alex Petersson, „hätte das wahrscheinlich nicht geklappt.“

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Dasselbe gelte für seine Familie, vor allem für seine Frau. Sie nehme ihm viel ab, ermögliche ihm zum Beispiel, morgens auszuschlafen. Ein Luxus, ohne den Alex sein stattliches Fitness-Pensum nicht mehr schaffen könnte. Dazu gehört auch ein rund einstündiges Programm im Kraftraum. Hier genießt es der gebürtige Lette mit isländischem Pass, wenn er ganz alleine seinen Übungen nachgehen kann. „Dann mache ich Musik an und kann mich ganz auf mich konzentrieren.“ Je nach Spielplan geht er dabei intensiver oder weniger hart zur Sache. Feste Bestandteile: Laufband, Schulter, Arme, Bauch. Und ganz wichtig: dehnen. Ausgiebig dehnen. Vor und nach dem Training. Das helfe sehr. „Ich hatte noch nie eine größere Muskelverletzung.“

Dabei geht es schon auf dem Band zur Sache. Nach fünf konzentrierten Laufminuten stehen die Schweißperlen auf Stirn und Nacken. Alex atmet tief durch. Ein paar Schluck Wasser, dann geht es weiter. Auch wenn das nächste gemeinsame Training mit der Mannschaft erst in einer Woche ansteht, die Nationalmannschaftspause noch länger dauert. Sich gehenlassen, rausnehmen, die Füße hochlegen – für Alexander Petersson ist das keine Alternative. Nach 16 Jahren soll noch lange nicht Schluss sein. Sein aktueller Vertrag bei den Rhein-Neckar Löwen ist bis 2021 datiert. Bis dahin wird er Tag für Tag alles geben. Schließlich ist er ein Handball-Fighter. Und das nicht nur auf dem Feld.

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