Mentales Risiko Leistungssport - Teil 2 Braden Collum on Unsplash
Fit mit Köpfchen - Mentale Fitness mit Dr. Christian Graz

Mentales Risiko Leistungssport - Teil 2

  • Dr. Christian Graz
Kürzlich erläuterten wir an dieser Stelle, dass Leistungssportler häufiger als öffentlich bekannt an ernsthaften psychischen Störungen leiden. Dieser Beitrag vertieft das Thema und zeigt auf, in welchen Sportarten Athleten für welche Formen von affektiven Störungen besonders anfällig sind.
Nicht jeder Leistungssportler ist durch die Breite an möglichen emotionalen Risiken gefährdet. Es ist offensichtlich, dass es bei Skirennfahrern, die sich im Winter die Streif-Abfahrt in Kitzbühel hinunterstürzen, während der vorbereitenden Trainingsmonate im Sommer eher zu Angstzuständen kommt als etwa bei einem Olympiateilnehmer im Schießsport. Essstörungen werden gewiss bei Kunstturnierinnen oder Skifliegern in höherem Maße auftreten als unter Fußballern.

Daher ist es hilfreich, potenzielle, durch Spitzensport ausgelöste psychische Störungen zu kategorisieren. Seitens der Sportarten lassen sich Ästhetische Sportarten unterscheiden von sogenannten „Leanness“-Sportarten sowie von Kontakt- und anderen Hochrisikosportarten. Auch drückt der psychisch-mentale Schuh bei Ausdauersportlern an anderer Stelle als bei Kraft- und Kontaktsportlern. Athleten in Einzelsportarten haben sicherlich andere psychologische Gefährdungen als Mannschaftssportler. Alter und Geschlecht spielen ebenfalls bei der Frage eine Rolle, welcher Art von mentalem Druck Leistungssportler ausgesetzt sind.

Eine besonders große Gefahr für die psychische Gesundheit von Spitzenathleten geht von der regelmäßigen Einnahme unerlaubter Medikamente aus, die zu dopinginduzierten Störungen führen können. Es ist keine Neuigkeit, dass in sehr vielen Sportarten anabole Steroide, Wachstumshormone, Erythropoetin und Amphetamine eingenommen werden. American Football, Leichtathleten, Wrestler und Gewichtheber, um nur einige Sportarten zu nennen, mögen hierfür typisch sein. Sehr viele erfolgreiche Leistungssportler dopen. Die langjährige, noch dazu verbotene Einnahme von Substanzen geht an der Psyche vieler Athleten nicht spurlos vorbei. Doping belastet sie, nicht nur wegen der Kontrollen. Sie fragen sich, welche Langzeitschäden bedrohen meinen Körper? Was geschieht, wenn ich auffliege? Muss ich das ganze Zeug nehmen, um im Wettkampf mithalten zu können? Im Kopf entsteht ein Mix aus Angst und schlechtem Gewissen. Auf Sportler wird zudem in vielen Situationen von außen erheblicher Druck aufgebaut, sich auch illegal oder zumindest in einer Grauzone medikamentieren zu lassen. Doping wird für Sportler zu einer Dauerbelastung mit mittel- und langfristig hohen Risiken für die Gesundheit.

Zu den weniger transparenten Störungen gehören das Übertrainingssyndrom und Erschöpfungsdepressionen. Im Vorfeld von Olympia gibt es aktuell einige Fälle, die derzeit durch die Medien gehen. Einzelne Athleten übernehmen sich in ihrem Trainingseifer, weil sie noch eine Schippe drauflegen wollen, und brennen dann aus, wie es viele Nichtsportler beim Burn-out kennen. Im Prinzip sind davon weite Teile von Sportarten betroffen, es häufen sich aus meiner Wahrnehmung aber diese Fälle bei Langstreckenläufern und im Basketball.
Auch Angsterkrankungen gehören zu den häufigen Störungen im Spitzensport, sie sind ebenfalls nicht eng auf einzelne Sportarten eingrenzbar, treten aber empirisch besonders häufig bei ästhetischen Disziplinen wie Kunstturnen und Eiskunstlaufen auf.

Eine eigene Kategorie von gefährdeten Sportlern bewegt sich in den sogenannten Leanness Sportarten, bei denen das Körpergewicht eine bestimmende Rolle über Sieg oder Niederlage spielt. In der Regel muss man, um wettbewerbsfähig zu sein, besonders schlank und leicht für diese rund 50 Sportarten sein. Aber natürlich geht es auch in die andere Richtung wie bei Gewichthebern, Kugelstoßern oder im Sumo-Ringen. Bei jenen, die etwa im Langstreckenlauf nur wenig Gewicht mit sich schleppen dürfen, geht das Risiko in Richtung atypischer/subklinischer Essstörungen. Es gibt sogar den Spezialbegriff der Anorexia athletica, die im umgekehrten Fall auch eine Adipositas athletica sein kann. Viele Sportler leben über Jahre an der Grenze zwischen einer vertretbaren und medizinisch kontrollierten Schlankheit. Manchmal verschwimmt diese Grenze jedoch und der Sportler leidet an einer alltagsrelevanten psychosomatischen Störung, die therapiert werden muss.

Schweren Schäden sind auch Athleten in Kontakt- und Kampfsportarten ausgesetzt. Zum einen tragen sie dauerhafte körperliche Blessuren davon, wie etwa Boxer, Football- und Rugby-Spieler, deren Kopf andauernden Schlägen ausgesetzt sind. Das kann mit der Zeit zu kognitiven Defiziten und organisch begründbaren psychischen Folgesymptomen führen, man spricht dann von Dementia pugilistica (Boxersyndrom).

Auch Kontaktsportarten mit Gewalteinwirkungen, zu denen ein hoher Grad an Aggression gehört, mögen mit der Zeit bei den Sportlern Defekte auch im kognitiv-sozialen Bereich hinterlassen.

Wenn sich die Karriere von erfolgreichen Sportlern dem Ende neigt, kann es zu einer weiteren, sehr spezifischen Stresssituation kommen. Spitzensportler existieren gewissermaßen in einer Bubble. Training, Wettkämpfe, Medien- und Sponsorenarbeit, die Kommunikation mit dem Verband bestimmen den Alltag. All das spielt sich bei erfolgreichen Athleten auf einem hohen professionellen Niveau ab, gerade in Sportarten, in denen es viel Geld zu verdienen gibt.

Spitzensportler sind dann oft 30 Jahre und älter, wenn sie in den nächsten Lebensabschnitt übertreten. Ein oft sehr schwieriger Übergang, den viele nicht emotional stabil meistern. Nach dem Karriereende oder einem verletzungsbedingten Karriereaus sehen wir häufig, dass weniger stabile Persönlichkeiten in Abhängigkeiten geraten, sei es von Tabak oder Alkohol bis hin zu illegalen Drogen. Eines der klassischen Beispiele ist der ehemalige Radrennfahrer Jan Ulrich, dessen Alkoholprobleme und Abstürze sich im Licht der Öffentlichkeit abspielten. Die Dunkelziffer von Ex-Profis mit Alkoholabusus und schweren psychischen Störungen, die sich im Leben nach dem Sport nicht zurechtfinden, ist hoch.

Dr Christian GrazZur Person: 

Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.

Kontakt

Copyright © 2017 netzathleten