Privat -- Paul Häberlein (re.) feiert mit einem Teamkollegen
„Da hat es Klick gemacht“: Wie alles begann...
- Paul Häberlein
In seinem Aufsatz berichtet Paul Häberlein von seinem rasanten Werdegang als junger Footballspieler, dem Wechsel in den hohen Norden, schweren Momenten im fernen Kiel, seinem Mentor Tyler und der Geburt des Traums vom Touchdown im Mutterland des American Footballs – der Aufnahme an einer Uni in den Vereinigten Staaten.
Es war im Winter 2014. Meine Abiturphase näherte sich und meine Unentschlossenheit bezüglich meiner Zukunft verwandelte sich keineswegs in zielstrebige Gewissheit. Studium? Ingenieurwesen? Okay, dazu motivierte mich eher der Gedanke an das spätere Einstiegsgehalt als eine wirkliche Faszination. Klar hatte ich im Hinterkopf, dass ich seit knapp einem halben Jahr sportlich neue Wege ging, da ich mit einer neuen Sportart – Football – begonnen hatte. Doch ernsthafte Ambitionen in diese Richtung hatte ich keine. Ich sah einfach wenig Chancen, auf ein College zu kommen. Dann wechselte Tyler Davis, ein ehemaliger Spieler der Munich Cowboys Seniors – das war das Bundesliga-Team des Vereins, für den ich in der A Jugend spielte –, nach Kiel. Und da wusste ich plötzlich: Ihm wollte ihm folgen. Ein verrückter Gedanke – klar. Was sollte ich in Kiel bezüglich meiner Zukunft machen? Noch dazu fernab meiner Familie und Freunde?
Mit Tyler verband mich Ende der Saison 2014 – im Oktober – ein spezielles Verhältnis. Er war eines Tages während einem meiner Spiele an der Seitenlinie aufgetaucht, während ich meinem Gegenspieler gegenüberstand. Er rief mir zu: „Give him some moves“. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal was er mit „moves“ meinte. Er hat mir dann allerdings in den folgenden Wochen mehr über Football beigebracht als ich in den vorherigen acht Monaten gelernt hatte. Tatsächlich bereits mehr in zehn Minuten Crashkurs nach einem Spiel. Zu sagen, er hätte mich inspiriert, wäre wohl zu kurz gegriffen. Allerdings war bereits klar, dass er nicht mehr nach München zurückkommen würde. Sein Ziel war die NFL und dafür musste er zu einem bessern Footballprogramm wechseln: Das GFL Powerhouse in Kiel.
Via Social Media blieb ich mit ihm in Kontakt und nachdem er bei den Baltic Hurricanes unterschrieben hatte, ermunterte er mich zunehmend häufig, ebenfalls nach Kiel zu gehen, da dies meiner Entwicklung am besten täte. Eigentlich hatte ich noch ein Jahr in der Jugend zu spielen, doch er meinte, dass ich mich als 18-Jähriger spätestens jetzt mit erwachsenen Spielern messen sollte, wenn ich in die USA wollte. Der Collegetraum schien mir zu dieser Zeit immer noch unrealistisch, ich wollte einfach nur meinem Vorbild und Mentor folgen. Der, da war ich sicher, würde mich weiterbringen.
Zunächst fühlte sich der Gedanke, meine Freunde und Familie zu verlassen, völlig wild an. Doch nachdem ich meinen Eltern von der Idee erzählt hatte und sie zu meiner Überraschung diese gar nicht duschgeknallt fanden, wurde der Gedanke immer klarer. Meine Eltern waren fantastisch in dieser Phase – wie auch in jeder anderen, natürlich – und haben das alles erst möglich gemacht. Umzug etc. – ich hatte ihre volle Unterstützung. Nebenher hatte ich ein FSJ als Plan B angestrebt und mich für dieses beworben.
Der nächste Termin war das Pre-Season Trainingscamp der Baltic Hurricanes im März. Ich flog dort hin, um Organisation und Stadt besser kennenzulernen. Und natürlich, um Football zu spielen und Tyler und meine Freunde wieder zu sehen – drei weitere Spieler waren nämlich von München nach Kiel gewechselt. Gute Kumpels von mir. War natürlich alles furchtbar aufregend. Eine Flut an neuen Eindrücken stürzte auf mich ein. Die Organisation in Kiel war nicht mit der in München vergleichbar: Eigene Autoflotte, eigene Büros, feste Mitarbeiter, Dronen im Training zur Videoanalyse und, und und...
Doch was sich wirklich wie ein Eimer kaltes Wasser ins Gesicht anfühlte, war der Level, auf dem dort Football gespielt wurde. Klar: Ich war mit mindestens zehn Kilo der mit Abstand leichteste Spieler, doch auch recht selbstbewusst angesichts meiner Fähigkeiten. Aber, meine Güte, habe ich in diesen drei Tagen – sorry – auf die Fresse bekommen. Das war eine „Learning Experience“ und „humbling“, wie der Amerikaner sagt. Hat auch Tyler gemerkt und mir deutlich gemacht dass ich noch viel Arbeit vor mir habe, wenn wir Ringe, sprich meisterschaften, gewinnen wollten.
Also hatte ich die nächsten zwei Monate bis zu meinem Abi, nach dem ich endlich nach Kiel konnte, eine Mission: Drastisch besser zu werden. In allen Bereichen. Ich spielte die ersten zwei Spiele der Saison in der Jugend der Cowboys und bin ganz gut abgegangen: Acht Catches, 197 Yards, drei Touchdowns. Dementsprechend gut fühlte ich mich, als ich dann aufbrach in den Norden. Doch dieses Hochgefühl verflog schnell, es gab wieder mächtig auf die Knochen bei den ‚Canes’. Neben dem Sportlichen waren natürlich die erste eigene Wohnung das freiwillige soziale Jahr, das Erkunden einer neuen Stadt und Treffen neuer Leute die größten Faktoren für meine charakterliche Entwicklung.
Da ich erst Mitte der Saison zum Team gestoßen war, musste ich schnell feststellen, dass ich überfordert war: Das komplexe Playbook, die überlegenen Mitspieler, mein Eins-gegen-Eins-Nachholbedarf usw. – zunächst blieben für mich nur Einsätze im One on One (Receiver und Defensive Back) und im Scout Team. Auf dem Programm: Wöchentliches Durchgehen der Spielzüge des kommenden Gegners. Dennoch: Ich hab so viel gelernt in dieser Zeit. Von meinem Receiver-Coach Tom Freches, von Timo Zorn und natürlich von Tyler. Die wöchentliche Competition mit diesen Spielern hat mir immens viel gegeben. Auch wenn es sehr, sehr hart war. Doch das war eine von vielen wichtigen Lektionen: Nur weil man schlecht spielt, heißt das nicht, dass man sich nicht verbessern kann. Im Gegenteil: Je heftiger der Rückschlag, desto wertvoller die potentielle Lektion. Man muss nur positiv bleiben und in den Prozess verliebt sein, dann bekommt man ein unerschütterliches Selbstvertrauen, das einem auch echt keiner nehmen kann.
Wegen des FSJs habe ich jedoch immer wieder Spiele und Trainingseinheiten verpasst. Zum Ende der Saison hin beschloss ich deshalb, dieses zu beenden, um mich voll auf den Football fokussieren zu können. Ob es daran lag, dass mein Kopf jetzt endlich frei war für Football, oder ob ich weniger nachdachte und mehr instinktiv spielte – auf jeden Fall wurde ich schlagartig besser. Mein Coach sagte mir, dass meine Entwicklung regelrecht in die Luft geschossen sei, nachdem sie lange stagniert hatte. So hoffte ich natürlich, im kommenden Playoff-Spiel Einsatzzeit zu bekommen. Nach meiner ersten Höllenfahrt – 14 Stunden mit dem Bus von Kiel ins Allgäu nach Kempten – folgte aber leider auch meine erste wirklich bitterer Niederlage, da wir als Favorit im Viertelfinale nach einem engen Spiel rausflogen.
Das bedeutete, dass nach fast sechs Monaten die Abreise der Amerikaner anstand. Und damit der Abschied von den nahezu einzigen Menschen, mit denen ich in Kiel bis dahin Zeit verbrachte, da ich bis jetzt nicht viele enge Freundschaften geschlossen hatte. Doch bevor Tyler ging, redete er mir nochmals gut zu. Und da ich recht emotional drauf war, beschloss ich nun endgültig, meine ganze Energie darauf zu konzentrieren, auf ein US-College zu kommen. Immer noch hatte ich Selbstzweifel, das gebe ich zu: War ich überhaupt gut genug, groß genug, schnell genug, noch jung genug? Doch Tyler ließ nicht locker. Sein Spruch für mich lautete: „Courage ist, einen Weg zu gehen mit all seiner Energie, ohne zu wissen, wo er hinführt.“ Da hat es bei mir klick gemacht. Ich habe begonnen, mich sehr in Visualisierungstechniken zu vertiefen, oder anders ausgedrückt: Strukturiert und mittelfristig zu träumen.
Nun stand also die Phase der Isolation an, die ich schon damals in München visualisiert hatte. Isolation ist vielleicht ein bisschen hart formuliert, aber mein Tagesablauf bestand tatsächlich ausschließlich aus Aufstehen, Essen, Trainieren, Essen, Trainieren, Schlafen. Und das zwei Monate lang. Natürlich habe ich in dieser Zeit die größten physischen Fortschritte überhaupt gemacht. Allerdings auch wenig zwischenmenschliche Kontakte außer zu meinen Eltern gepflegt.
Dann habe ich mich kurz vor Beginn des Hallentrainings, auf das ich sehnlichst gewartet hatte, am Rücken verletzt und das frustrierte mich natürlich, weil ich von Beginn an einen guten Eindruck machen wollte. Schließlich hatten wir inzwischen einen neuen Headcoach. Und da viele Stammspieler auf meiner Position gegangen waren, hatte ich eine reale Chance, künftig zu starten, was natürlich Voraussetzung für eine Bewerbung am College war. Während der Verletzung habe ich viel mit der Vereinsphysiotherapeutin Maria gearbeitet.
Sie hat mir echt Balance gegeben. Einerseits durch die Eröffnung eines Freundeskreises, in den sie mich so ein wenig eingeführt hat – was sehr wichtig war, denn dieser zeigte mir, dass man sich nicht nur sich selbst gegenüber sondern auch nach außen hin öffnen sollte. Andererseits hat sie mir gezeigt, wie wichtig es ist, nicht nur kräftiger und schneller zu werden sondern auch flexibler und anpassungsfähiger, damit sich Verletzungen nicht so leicht einschleichen können. Sie hat mir sozusagen die Lektion gelehrt, die richtige Balance zu suchen und sich neuen Übungen zu öffnen.
Bis April begann sich mein Ziel langsam herauszukristallisieren. Endlich wieder Football endlich wieder Eins-gegen-Eins, endlich wieder Competition und Trash Talk. (I love it!) Ich habe mich in dieser Zeit als Starter in den Kader gespielt und wieder dachte ich, unbesiegbar zu sein. Und dann? Bämm! Schwere Zerrung des hinteren Oberschenkelmuskels – sechs Wochen Pause. Vier davon in der Reha. Wieder raus. Das hat mich echt fertig gemacht, denn kurz darauf begann die Saison und ich musste zusehen wie alle meine Teamkollegen sich beweisen und dem Coach imponieren konnten. Das war nicht mal so schlimm, ich bin ein Teamplayer, neben dem Feld hab ich geschrien, mitgefiebert und mich für sie von Herzen gefreut. Schlimm waren die Momente alleine auf der Couch, in denen ich mich fragte, ob ich überhaupt wieder gesund werde, wieder der ‚Alte’ – und ob ich überhaupt noch mein Ziel erreichen können würde. Momente, in denen man einfach nur trainieren und das machen will, was man liebt. Aber, wie heißt es doch? Am dunkelsten ist die Nacht vor der Dämmerung.
Natürlich wurde ich wieder gesund, der ‚Alte’ und konnte schon bald wieder trainieren. Doch nun hatte sich das Team gebildet und ich war in der Zweiten Reihe – als Back Up. Aber wenigstens auf dem Feld, das war alles was ich gebraucht hatte.
Im ersten Spiel, in dem ich ran durfte, war meine Einsatzzeit noch begrenzt. Der Trainer kam auf mich zu und verstand, dass ich frustriert war. Doch ich sagte ihm, dass ich das verstehen und als Motivation nutzen würde. Das zweite Spiel war ein ‚Blow Out’ und ich kam recht schnell aufs Feld. Kurz vor Ende schaffte ich meinen ersten Touchdown und wusste: das ist der Durchbruch! Im nächsten Match verletzte sich ein Receiver und ich kam für ihn in die Startaufstellung. Von da an schaute ich nicht mehr zurück. Ich startete den Rest der Saison – in jedem Spiel.
Gegen den amtierenden Deutschen Meister aus Braunschweig scorte ich ebenfalls einmal und von da an war auch der Trainer von mir als Starter überzeugt, auch wenn wir das Spiel mit einem entscheidenden Fieldgoal in letzter Sekunde 24:21 verloren. Wir wussten, wir würden Braunschweig in den Playoffs wiedersehen und unsere Revanche bekommen. Die restlichen Saisonspiele hatten wir alle im Griff. Wir waren den Gegnern von nun an deutlich überlegen – und ich scorte zwei weitere Male.
Das erste Playoff-Spiel stand gegen Frankfurt Universe an, die mit starken finanziellen Mitteln zuvor in die erste Liga aufgestiegen waren. Wir alle waren sehr aufgeregt, da jeder von uns auf die Revanche gegen Braunschweig im Halbfinale brannte. Das Frankfurt-Match fand vor einer grandiosen Kulisse statt: 6.000 Zuschauer. Aber es war eine Regenschlacht. Am Ende eines dramatischen Showdowns hatten wir 10:7 gewonnen – und standen im Halbfinale. Das war der schönste Sieg meiner Karriere bis dato.
Nun stand also tatsächlich das erneute Duell gegen Braunschweig an. Ich rechnete fest damit, dass wir sie schlagen würden. All unsere Jungs taten das. Doch es kam anders: Wir wurden recht eindeutig abgefertigt und Braunschweig gewann verdient, auch wenn ich in der Halbzeitpause, als es 21:14 stand, immer noch fest daran glaubte, zu gewinnen. Dementsprechend haben mich dann meine Emotionen auch überwältigt nach der Niederlage, da ich wusste, dass das der Anfang des Endes meines Kiel-Abenteuers war. Gleichzeitig aber auch der Beginn meiner ’Mission USA’.
Dafür gab es noch etwas Wichtiges zu erledigen: Ich musste mein Highlight-Tape der Saison an die US-Colleges senden... Wie es dann weiterging, steht ja in der Geschichte über mich. Und diese Geschichte ist hoffentlich erst der Anfang.
Mit Tyler verband mich Ende der Saison 2014 – im Oktober – ein spezielles Verhältnis. Er war eines Tages während einem meiner Spiele an der Seitenlinie aufgetaucht, während ich meinem Gegenspieler gegenüberstand. Er rief mir zu: „Give him some moves“. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal was er mit „moves“ meinte. Er hat mir dann allerdings in den folgenden Wochen mehr über Football beigebracht als ich in den vorherigen acht Monaten gelernt hatte. Tatsächlich bereits mehr in zehn Minuten Crashkurs nach einem Spiel. Zu sagen, er hätte mich inspiriert, wäre wohl zu kurz gegriffen. Allerdings war bereits klar, dass er nicht mehr nach München zurückkommen würde. Sein Ziel war die NFL und dafür musste er zu einem bessern Footballprogramm wechseln: Das GFL Powerhouse in Kiel.
Via Social Media blieb ich mit ihm in Kontakt und nachdem er bei den Baltic Hurricanes unterschrieben hatte, ermunterte er mich zunehmend häufig, ebenfalls nach Kiel zu gehen, da dies meiner Entwicklung am besten täte. Eigentlich hatte ich noch ein Jahr in der Jugend zu spielen, doch er meinte, dass ich mich als 18-Jähriger spätestens jetzt mit erwachsenen Spielern messen sollte, wenn ich in die USA wollte. Der Collegetraum schien mir zu dieser Zeit immer noch unrealistisch, ich wollte einfach nur meinem Vorbild und Mentor folgen. Der, da war ich sicher, würde mich weiterbringen.
Zunächst fühlte sich der Gedanke, meine Freunde und Familie zu verlassen, völlig wild an. Doch nachdem ich meinen Eltern von der Idee erzählt hatte und sie zu meiner Überraschung diese gar nicht duschgeknallt fanden, wurde der Gedanke immer klarer. Meine Eltern waren fantastisch in dieser Phase – wie auch in jeder anderen, natürlich – und haben das alles erst möglich gemacht. Umzug etc. – ich hatte ihre volle Unterstützung. Nebenher hatte ich ein FSJ als Plan B angestrebt und mich für dieses beworben.
Der nächste Termin war das Pre-Season Trainingscamp der Baltic Hurricanes im März. Ich flog dort hin, um Organisation und Stadt besser kennenzulernen. Und natürlich, um Football zu spielen und Tyler und meine Freunde wieder zu sehen – drei weitere Spieler waren nämlich von München nach Kiel gewechselt. Gute Kumpels von mir. War natürlich alles furchtbar aufregend. Eine Flut an neuen Eindrücken stürzte auf mich ein. Die Organisation in Kiel war nicht mit der in München vergleichbar: Eigene Autoflotte, eigene Büros, feste Mitarbeiter, Dronen im Training zur Videoanalyse und, und und...
Doch was sich wirklich wie ein Eimer kaltes Wasser ins Gesicht anfühlte, war der Level, auf dem dort Football gespielt wurde. Klar: Ich war mit mindestens zehn Kilo der mit Abstand leichteste Spieler, doch auch recht selbstbewusst angesichts meiner Fähigkeiten. Aber, meine Güte, habe ich in diesen drei Tagen – sorry – auf die Fresse bekommen. Das war eine „Learning Experience“ und „humbling“, wie der Amerikaner sagt. Hat auch Tyler gemerkt und mir deutlich gemacht dass ich noch viel Arbeit vor mir habe, wenn wir Ringe, sprich meisterschaften, gewinnen wollten.
Also hatte ich die nächsten zwei Monate bis zu meinem Abi, nach dem ich endlich nach Kiel konnte, eine Mission: Drastisch besser zu werden. In allen Bereichen. Ich spielte die ersten zwei Spiele der Saison in der Jugend der Cowboys und bin ganz gut abgegangen: Acht Catches, 197 Yards, drei Touchdowns. Dementsprechend gut fühlte ich mich, als ich dann aufbrach in den Norden. Doch dieses Hochgefühl verflog schnell, es gab wieder mächtig auf die Knochen bei den ‚Canes’. Neben dem Sportlichen waren natürlich die erste eigene Wohnung das freiwillige soziale Jahr, das Erkunden einer neuen Stadt und Treffen neuer Leute die größten Faktoren für meine charakterliche Entwicklung.
Da ich erst Mitte der Saison zum Team gestoßen war, musste ich schnell feststellen, dass ich überfordert war: Das komplexe Playbook, die überlegenen Mitspieler, mein Eins-gegen-Eins-Nachholbedarf usw. – zunächst blieben für mich nur Einsätze im One on One (Receiver und Defensive Back) und im Scout Team. Auf dem Programm: Wöchentliches Durchgehen der Spielzüge des kommenden Gegners. Dennoch: Ich hab so viel gelernt in dieser Zeit. Von meinem Receiver-Coach Tom Freches, von Timo Zorn und natürlich von Tyler. Die wöchentliche Competition mit diesen Spielern hat mir immens viel gegeben. Auch wenn es sehr, sehr hart war. Doch das war eine von vielen wichtigen Lektionen: Nur weil man schlecht spielt, heißt das nicht, dass man sich nicht verbessern kann. Im Gegenteil: Je heftiger der Rückschlag, desto wertvoller die potentielle Lektion. Man muss nur positiv bleiben und in den Prozess verliebt sein, dann bekommt man ein unerschütterliches Selbstvertrauen, das einem auch echt keiner nehmen kann.
Wegen des FSJs habe ich jedoch immer wieder Spiele und Trainingseinheiten verpasst. Zum Ende der Saison hin beschloss ich deshalb, dieses zu beenden, um mich voll auf den Football fokussieren zu können. Ob es daran lag, dass mein Kopf jetzt endlich frei war für Football, oder ob ich weniger nachdachte und mehr instinktiv spielte – auf jeden Fall wurde ich schlagartig besser. Mein Coach sagte mir, dass meine Entwicklung regelrecht in die Luft geschossen sei, nachdem sie lange stagniert hatte. So hoffte ich natürlich, im kommenden Playoff-Spiel Einsatzzeit zu bekommen. Nach meiner ersten Höllenfahrt – 14 Stunden mit dem Bus von Kiel ins Allgäu nach Kempten – folgte aber leider auch meine erste wirklich bitterer Niederlage, da wir als Favorit im Viertelfinale nach einem engen Spiel rausflogen.
Das bedeutete, dass nach fast sechs Monaten die Abreise der Amerikaner anstand. Und damit der Abschied von den nahezu einzigen Menschen, mit denen ich in Kiel bis dahin Zeit verbrachte, da ich bis jetzt nicht viele enge Freundschaften geschlossen hatte. Doch bevor Tyler ging, redete er mir nochmals gut zu. Und da ich recht emotional drauf war, beschloss ich nun endgültig, meine ganze Energie darauf zu konzentrieren, auf ein US-College zu kommen. Immer noch hatte ich Selbstzweifel, das gebe ich zu: War ich überhaupt gut genug, groß genug, schnell genug, noch jung genug? Doch Tyler ließ nicht locker. Sein Spruch für mich lautete: „Courage ist, einen Weg zu gehen mit all seiner Energie, ohne zu wissen, wo er hinführt.“ Da hat es bei mir klick gemacht. Ich habe begonnen, mich sehr in Visualisierungstechniken zu vertiefen, oder anders ausgedrückt: Strukturiert und mittelfristig zu träumen.
Großer Fang - Häberlein erzielt einen Touchdown
Nun stand also die Phase der Isolation an, die ich schon damals in München visualisiert hatte. Isolation ist vielleicht ein bisschen hart formuliert, aber mein Tagesablauf bestand tatsächlich ausschließlich aus Aufstehen, Essen, Trainieren, Essen, Trainieren, Schlafen. Und das zwei Monate lang. Natürlich habe ich in dieser Zeit die größten physischen Fortschritte überhaupt gemacht. Allerdings auch wenig zwischenmenschliche Kontakte außer zu meinen Eltern gepflegt.
Dann habe ich mich kurz vor Beginn des Hallentrainings, auf das ich sehnlichst gewartet hatte, am Rücken verletzt und das frustrierte mich natürlich, weil ich von Beginn an einen guten Eindruck machen wollte. Schließlich hatten wir inzwischen einen neuen Headcoach. Und da viele Stammspieler auf meiner Position gegangen waren, hatte ich eine reale Chance, künftig zu starten, was natürlich Voraussetzung für eine Bewerbung am College war. Während der Verletzung habe ich viel mit der Vereinsphysiotherapeutin Maria gearbeitet.
Sie hat mir echt Balance gegeben. Einerseits durch die Eröffnung eines Freundeskreises, in den sie mich so ein wenig eingeführt hat – was sehr wichtig war, denn dieser zeigte mir, dass man sich nicht nur sich selbst gegenüber sondern auch nach außen hin öffnen sollte. Andererseits hat sie mir gezeigt, wie wichtig es ist, nicht nur kräftiger und schneller zu werden sondern auch flexibler und anpassungsfähiger, damit sich Verletzungen nicht so leicht einschleichen können. Sie hat mir sozusagen die Lektion gelehrt, die richtige Balance zu suchen und sich neuen Übungen zu öffnen.
Bis April begann sich mein Ziel langsam herauszukristallisieren. Endlich wieder Football endlich wieder Eins-gegen-Eins, endlich wieder Competition und Trash Talk. (I love it!) Ich habe mich in dieser Zeit als Starter in den Kader gespielt und wieder dachte ich, unbesiegbar zu sein. Und dann? Bämm! Schwere Zerrung des hinteren Oberschenkelmuskels – sechs Wochen Pause. Vier davon in der Reha. Wieder raus. Das hat mich echt fertig gemacht, denn kurz darauf begann die Saison und ich musste zusehen wie alle meine Teamkollegen sich beweisen und dem Coach imponieren konnten. Das war nicht mal so schlimm, ich bin ein Teamplayer, neben dem Feld hab ich geschrien, mitgefiebert und mich für sie von Herzen gefreut. Schlimm waren die Momente alleine auf der Couch, in denen ich mich fragte, ob ich überhaupt wieder gesund werde, wieder der ‚Alte’ – und ob ich überhaupt noch mein Ziel erreichen können würde. Momente, in denen man einfach nur trainieren und das machen will, was man liebt. Aber, wie heißt es doch? Am dunkelsten ist die Nacht vor der Dämmerung.
Natürlich wurde ich wieder gesund, der ‚Alte’ und konnte schon bald wieder trainieren. Doch nun hatte sich das Team gebildet und ich war in der Zweiten Reihe – als Back Up. Aber wenigstens auf dem Feld, das war alles was ich gebraucht hatte.
Im ersten Spiel, in dem ich ran durfte, war meine Einsatzzeit noch begrenzt. Der Trainer kam auf mich zu und verstand, dass ich frustriert war. Doch ich sagte ihm, dass ich das verstehen und als Motivation nutzen würde. Das zweite Spiel war ein ‚Blow Out’ und ich kam recht schnell aufs Feld. Kurz vor Ende schaffte ich meinen ersten Touchdown und wusste: das ist der Durchbruch! Im nächsten Match verletzte sich ein Receiver und ich kam für ihn in die Startaufstellung. Von da an schaute ich nicht mehr zurück. Ich startete den Rest der Saison – in jedem Spiel.
Gegen den amtierenden Deutschen Meister aus Braunschweig scorte ich ebenfalls einmal und von da an war auch der Trainer von mir als Starter überzeugt, auch wenn wir das Spiel mit einem entscheidenden Fieldgoal in letzter Sekunde 24:21 verloren. Wir wussten, wir würden Braunschweig in den Playoffs wiedersehen und unsere Revanche bekommen. Die restlichen Saisonspiele hatten wir alle im Griff. Wir waren den Gegnern von nun an deutlich überlegen – und ich scorte zwei weitere Male.
Das erste Playoff-Spiel stand gegen Frankfurt Universe an, die mit starken finanziellen Mitteln zuvor in die erste Liga aufgestiegen waren. Wir alle waren sehr aufgeregt, da jeder von uns auf die Revanche gegen Braunschweig im Halbfinale brannte. Das Frankfurt-Match fand vor einer grandiosen Kulisse statt: 6.000 Zuschauer. Aber es war eine Regenschlacht. Am Ende eines dramatischen Showdowns hatten wir 10:7 gewonnen – und standen im Halbfinale. Das war der schönste Sieg meiner Karriere bis dato.
Nun stand also tatsächlich das erneute Duell gegen Braunschweig an. Ich rechnete fest damit, dass wir sie schlagen würden. All unsere Jungs taten das. Doch es kam anders: Wir wurden recht eindeutig abgefertigt und Braunschweig gewann verdient, auch wenn ich in der Halbzeitpause, als es 21:14 stand, immer noch fest daran glaubte, zu gewinnen. Dementsprechend haben mich dann meine Emotionen auch überwältigt nach der Niederlage, da ich wusste, dass das der Anfang des Endes meines Kiel-Abenteuers war. Gleichzeitig aber auch der Beginn meiner ’Mission USA’.
Dafür gab es noch etwas Wichtiges zu erledigen: Ich musste mein Highlight-Tape der Saison an die US-Colleges senden... Wie es dann weiterging, steht ja in der Geschichte über mich. Und diese Geschichte ist hoffentlich erst der Anfang.