gettyimages
Olympia-Verlegung: „Gigantische Herausforderung, aber auch Chance“
- Frank Schneller
…sagt Dennis Trautwein, Tokio-Chef der Beratungsagentur Octagon, in einem aktuellen Interview mit Frank Schneller für die Internet-Plattform ‚Olympisches Feuer‘ der Deutschen Olympischen Gesellschaft. Trautwein beantwortet aktuelle Fragen rund um die Auswirkungen der Verlegung auf Tokio und die Branche. Er liefert Hintergründe aus einer Stadt, die sich eine Schockstarre genauso wenig erlauben kann wie das Organisationskomitee, Sponsoren und Agenturen. Und er erklärt, warum die Einsicht, Olympia 2020 nicht wie geplant durchführen zu können, vor Ort erst mit Verzögerung einsetzte.
In Absprache mit dem Autor und Trautwein, der bereits als Kolumnist während der Fußball-WM 2018 in Russland für netzathleten.de schrieb, veröffentlichen wir das Gespräch in voller Länge.
Herr Trautwein, vorab: War die Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 sowie der Paralympics auf das Jahr 2021 aus Ihrer Sicht richtig? Und der Zeitpunkt angemessen?
Die Entscheidung war letztlich alternativlos, klar – aber nachvollziehbar schwer. Simplifiziert betrachtet, dauerte die Entscheidungsfindung trotz des zunehmenden Drucks von sämtlichen Seiten sehr lange. Bei aller Kritik daran muss man jedoch die riesige Komplexität dieser Entscheidung bedenken.
Schildern Sie uns doch mal die Stimmungsentwicklung vor Ort während der letzten Wochen und Monate – und nun, wo der IOC-Entscheid feststeht: 23. Juli bis 8. August nächsten Jahres sollen die Spiele nachgeholt werden.
Es herrscht große Enttäuschung einerseits, aber natürlich auch Verständnis für den Entschluss. Immerhin gab es keine Absage. Die Bevölkerung hatte sich sehr auf die Spiele gefreut, die Zustimmung war groß. Auch noch in den ersten Wochen der Corona-Krise. Zwar war durchaus zunehmende Verunsicherung festzustellen, aber keine Panik. Diese Spiele sollten Japan als ein Land darstellen, das sich nach dem Erdbeben und Tsunami in 2011 nicht nur aufrichtet, sondern stärker wieder zurückkommt. Man muss zudem wissen, dass das Leben in Tokio bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht derart zum Erliegen kam wie das anderswo der Fall war und ist. Der Betrieb wurde weitestgehend aufrechterhalten. Ein Beispiel: Die Ankunft des Olympischen Feuers vor nicht einmal 14 Tagen lockte noch 50.000 Menschen an – viele kamen mit Mundschutz, doch sie ließen sich eben nicht abhalten, die Fackel live zu sehen. Das wäre zu dem Zeitpunkt anderswo nicht mehr vorstellbar gewesen.
Wie erklären Sie das? Das hat hier tatsächlich viele verwundert.
Japan hatte im Vorfeld der Olympia-Entscheidung vergleichsweise wenige registrierte Corona-Fälle. Das war ein psychologischer Faktor. Denn die Härte der Maßnahmen eines Landes sind immer ein Hinweis auf die Härte der Krise – und derart einschneidende Beschränkungen wie beispielsweise in Deutschland gab es in Japan lange nicht. Schutzmasken zum Beispiel sind ohnehin alltäglich in Tokio. Zuletzt aber hatten die Zweifel an der Durchführbarkeit auch hier immer mehr zugenommen. Ebenso die Einsicht, dass es besser wäre bzw. nun ist, die Spiele zu verschieben. Jetzt herrscht – zunächst einmal – Klarheit über die Verlegung und den neuen Termin, an dem die Spiele nachgeholt werden sollen. Das hilft ein wenig, mit der Enttäuschung umzugehen.
Sie äußern sich auffallend viel im Konjunktiv. Warum?
Weil man doch erst einmal abwarten muss, wie es mit der Pandemie selbst weitergeht. Sicherlich bis in den Herbst oder gar Winter hinein. Wie die Herausforderungen, die sich dann stellen, gemeistert werden können. In allen Bereichen. Wir haben letztlich noch keine Garantie, dass in einem Jahr alle Probleme – logistische, organisatorische, wirtschaftliche, rechtliche, personelle, soziale und gesundheitliche – umfassend bewältigt sind und wie die Auswirkungen am Ende aussehen. Wir alle, die diesem Öko-System angehören, sind betroffen. In jeder Hinsicht. Alle werden Kompromisse machen müssen, sich neu ausrichten: Veranstalter, Sponsoren, natürlich auch die Aktiven. Man kann ja nicht einfach das Datum austauschen und glauben es passiert alles so wie vorher schon geplant.
Rechnen Sie damit, dass die Veranstaltungsstätten noch dieselben sein werden?
Das denke ich schon, ja. In Tokio muss zwar über die Sportstätten, Hotels und das Olympische Dorf neu verhandelt werden: Was also wird aus bestehenden Immobilien-Verträgen und geblockte Kontingenten im kommenden Jahr? Wie wird man mit einer weiteren Kostenexplosion umgehen? Da wird es viele Alternativ-Lösungen geben müssen. Aber mit Blick auf die Sportstätten werden sie das hinkriegen. Auch die Tickets behalten ja ihre Gültigkeit – das wird letztlich alles einigermaßen zu handeln sein unter den gegebenen Umständen. Man wird zudem weiter auf die vorhandene Infrastruktur zurückgreifen können. Der Veranstaltungskalender dürfte auch nahezu unverändert bleiben.
Dennoch: Sämtliche Zeitfenster haben sich verschoben.
Verlängert muss man wohl sagen. Man hat jetzt den Stecker gezogen und kann den nicht einfach wieder reinstecken und dann in ein paar Monaten einfach wieder alles hochfahren. In welchem Umfang und mit wie vielen der rund 8.000 Mitarbeiter soll beispielsweise seitens des Organisationskomitees der Betrieb aufrechterhalten werden? Hier sind in den letzten Tagen schon 3.000 Mitarbeiter zurückgeschickt worden, die von der Stadtverwaltung und Sponsoren abgestellt waren. Es bleibt spannend, zumal ja – wie schon angerissen – mit Sicherheit auch neue Aufgaben bis Sommer ’21 entstehen. Diese Themen kommen auf uns alle zu.
Was kommt auf die Sponsoren zu?
Deren zentrale Herausforderung ist, dass sie das ja bereits in ihre Marketing-Kampagnen investierte Geld – nicht zurückbekommen, sondern nun zusehen müssen, dass sie das verlängerte Aufmerksamkeitsfenster neu ausfüllen, ihre Aktionen neu ausrichten und das in einer Phase wo viele Marketingbudgets zusammengestrichen werden. Das ist eine Riesenaufgabe, die da bewältigt werden muss. Und das in einer sehr dynamischen Gemengelage. Neue Strategien sind gefragt. Kampagnen brauchen den neuen Umständen angepasste Inhalte und die ersten Partner werden auch schon aktiv. Keiner hat Zeit, in einer Schockstarre zu verharren.
Abgesehen von den Milliarden, um die es geht, vielmehr grundsätzlich betrachtet: Werden die Spiele nächstes Jahr die gleichen werden wie sie es 2020 hätten werden sollen, vor der Pandemie?
Eher nicht. Wir werden andere Spiele erleben. ‚Olympia light’ würde ich es mal nennen. Aber das an sich muss wiederum gar nicht so negativ sein. Darin liegt auch eine Chance. Denn: Sofern die Spiele in einem Jahr stattfinden können, werden sie sicherlich noch emotionaler und verbindender sein als sonst. Die Welt braucht die Spiele jetzt erst recht. Man soll es mit Symbolik und Pathos nicht übertreiben – aber ich sehe es wirklich so, dass nicht nur Tokio und Japan die Spiele brauchen, sondern dass ihnen global eine hohe Bedeutung zukommt. In der Zeit bis zum Sommer 2021 – und dann während der Spiele selbst: Die Olympische Flamme als Licht am Ende des Tunnels: Solche Bilder sind aktuell nicht nur zulässig. Sie sind auch wichtig. Man darf sich in der Krise jetzt nicht verlieren und nur noch schwarzmalen. Da bin ich beim IOC. Olympia ist ein großes Fest der Völker. Wenn die Spiele nächstes Jahr stattfinden können, ist das von großer Bedeutung weit jenseits der Symbolik.
Herr Trautwein, vorab: War die Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 sowie der Paralympics auf das Jahr 2021 aus Ihrer Sicht richtig? Und der Zeitpunkt angemessen?
Die Entscheidung war letztlich alternativlos, klar – aber nachvollziehbar schwer. Simplifiziert betrachtet, dauerte die Entscheidungsfindung trotz des zunehmenden Drucks von sämtlichen Seiten sehr lange. Bei aller Kritik daran muss man jedoch die riesige Komplexität dieser Entscheidung bedenken.
Schildern Sie uns doch mal die Stimmungsentwicklung vor Ort während der letzten Wochen und Monate – und nun, wo der IOC-Entscheid feststeht: 23. Juli bis 8. August nächsten Jahres sollen die Spiele nachgeholt werden.
Es herrscht große Enttäuschung einerseits, aber natürlich auch Verständnis für den Entschluss. Immerhin gab es keine Absage. Die Bevölkerung hatte sich sehr auf die Spiele gefreut, die Zustimmung war groß. Auch noch in den ersten Wochen der Corona-Krise. Zwar war durchaus zunehmende Verunsicherung festzustellen, aber keine Panik. Diese Spiele sollten Japan als ein Land darstellen, das sich nach dem Erdbeben und Tsunami in 2011 nicht nur aufrichtet, sondern stärker wieder zurückkommt. Man muss zudem wissen, dass das Leben in Tokio bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht derart zum Erliegen kam wie das anderswo der Fall war und ist. Der Betrieb wurde weitestgehend aufrechterhalten. Ein Beispiel: Die Ankunft des Olympischen Feuers vor nicht einmal 14 Tagen lockte noch 50.000 Menschen an – viele kamen mit Mundschutz, doch sie ließen sich eben nicht abhalten, die Fackel live zu sehen. Das wäre zu dem Zeitpunkt anderswo nicht mehr vorstellbar gewesen.
Wie erklären Sie das? Das hat hier tatsächlich viele verwundert.
Japan hatte im Vorfeld der Olympia-Entscheidung vergleichsweise wenige registrierte Corona-Fälle. Das war ein psychologischer Faktor. Denn die Härte der Maßnahmen eines Landes sind immer ein Hinweis auf die Härte der Krise – und derart einschneidende Beschränkungen wie beispielsweise in Deutschland gab es in Japan lange nicht. Schutzmasken zum Beispiel sind ohnehin alltäglich in Tokio. Zuletzt aber hatten die Zweifel an der Durchführbarkeit auch hier immer mehr zugenommen. Ebenso die Einsicht, dass es besser wäre bzw. nun ist, die Spiele zu verschieben. Jetzt herrscht – zunächst einmal – Klarheit über die Verlegung und den neuen Termin, an dem die Spiele nachgeholt werden sollen. Das hilft ein wenig, mit der Enttäuschung umzugehen.
Sie äußern sich auffallend viel im Konjunktiv. Warum?
Weil man doch erst einmal abwarten muss, wie es mit der Pandemie selbst weitergeht. Sicherlich bis in den Herbst oder gar Winter hinein. Wie die Herausforderungen, die sich dann stellen, gemeistert werden können. In allen Bereichen. Wir haben letztlich noch keine Garantie, dass in einem Jahr alle Probleme – logistische, organisatorische, wirtschaftliche, rechtliche, personelle, soziale und gesundheitliche – umfassend bewältigt sind und wie die Auswirkungen am Ende aussehen. Wir alle, die diesem Öko-System angehören, sind betroffen. In jeder Hinsicht. Alle werden Kompromisse machen müssen, sich neu ausrichten: Veranstalter, Sponsoren, natürlich auch die Aktiven. Man kann ja nicht einfach das Datum austauschen und glauben es passiert alles so wie vorher schon geplant.
Dennis Trautwein Tokio-Chef der Beratungsagentur Octagon
Rechnen Sie damit, dass die Veranstaltungsstätten noch dieselben sein werden?
Das denke ich schon, ja. In Tokio muss zwar über die Sportstätten, Hotels und das Olympische Dorf neu verhandelt werden: Was also wird aus bestehenden Immobilien-Verträgen und geblockte Kontingenten im kommenden Jahr? Wie wird man mit einer weiteren Kostenexplosion umgehen? Da wird es viele Alternativ-Lösungen geben müssen. Aber mit Blick auf die Sportstätten werden sie das hinkriegen. Auch die Tickets behalten ja ihre Gültigkeit – das wird letztlich alles einigermaßen zu handeln sein unter den gegebenen Umständen. Man wird zudem weiter auf die vorhandene Infrastruktur zurückgreifen können. Der Veranstaltungskalender dürfte auch nahezu unverändert bleiben.
Dennoch: Sämtliche Zeitfenster haben sich verschoben.
Verlängert muss man wohl sagen. Man hat jetzt den Stecker gezogen und kann den nicht einfach wieder reinstecken und dann in ein paar Monaten einfach wieder alles hochfahren. In welchem Umfang und mit wie vielen der rund 8.000 Mitarbeiter soll beispielsweise seitens des Organisationskomitees der Betrieb aufrechterhalten werden? Hier sind in den letzten Tagen schon 3.000 Mitarbeiter zurückgeschickt worden, die von der Stadtverwaltung und Sponsoren abgestellt waren. Es bleibt spannend, zumal ja – wie schon angerissen – mit Sicherheit auch neue Aufgaben bis Sommer ’21 entstehen. Diese Themen kommen auf uns alle zu.
Was kommt auf die Sponsoren zu?
Deren zentrale Herausforderung ist, dass sie das ja bereits in ihre Marketing-Kampagnen investierte Geld – nicht zurückbekommen, sondern nun zusehen müssen, dass sie das verlängerte Aufmerksamkeitsfenster neu ausfüllen, ihre Aktionen neu ausrichten und das in einer Phase wo viele Marketingbudgets zusammengestrichen werden. Das ist eine Riesenaufgabe, die da bewältigt werden muss. Und das in einer sehr dynamischen Gemengelage. Neue Strategien sind gefragt. Kampagnen brauchen den neuen Umständen angepasste Inhalte und die ersten Partner werden auch schon aktiv. Keiner hat Zeit, in einer Schockstarre zu verharren.
Abgesehen von den Milliarden, um die es geht, vielmehr grundsätzlich betrachtet: Werden die Spiele nächstes Jahr die gleichen werden wie sie es 2020 hätten werden sollen, vor der Pandemie?
Eher nicht. Wir werden andere Spiele erleben. ‚Olympia light’ würde ich es mal nennen. Aber das an sich muss wiederum gar nicht so negativ sein. Darin liegt auch eine Chance. Denn: Sofern die Spiele in einem Jahr stattfinden können, werden sie sicherlich noch emotionaler und verbindender sein als sonst. Die Welt braucht die Spiele jetzt erst recht. Man soll es mit Symbolik und Pathos nicht übertreiben – aber ich sehe es wirklich so, dass nicht nur Tokio und Japan die Spiele brauchen, sondern dass ihnen global eine hohe Bedeutung zukommt. In der Zeit bis zum Sommer 2021 – und dann während der Spiele selbst: Die Olympische Flamme als Licht am Ende des Tunnels: Solche Bilder sind aktuell nicht nur zulässig. Sie sind auch wichtig. Man darf sich in der Krise jetzt nicht verlieren und nur noch schwarzmalen. Da bin ich beim IOC. Olympia ist ein großes Fest der Völker. Wenn die Spiele nächstes Jahr stattfinden können, ist das von großer Bedeutung weit jenseits der Symbolik.