Nachschau zur Handball-WM: Eine nachhaltige Erfolgsstory? gettyimages.de
Karsten Petry, Managing Director Octagon Germany im Interview zur Handball-WM 2019

Nachschau zur Handball-WM: Eine nachhaltige Erfolgsstory?

  • Frank Schneller
Knapp einen Monat ist es her, dass die Handball-WM der Männer – gefühlt – eine ganze Nation in ihren Bann zog. Der ‚Hype’ um die DHB-Auswahl weckte in der Branche hierzulande Hoffnungen auf eine nachhaltige Erfolgsstory der Sportart. Auf eine Dauerkarte für einen Platz an der Sonne. Anders als 2007, als der Gastgeber sogar Weltmeister wurde, soll die gelieferte Steilvorlage diesmal verwandelt werden.
So jedenfalls der einheitliche Tenor der Verantwortlichen. Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die – kurzzeitige – mediale Durchdringung der Prokop-Truppe und die häufig bemühten Werte, für die der Handball und seine Protagonisten stehen, tatsächlich verfangen. Überbordender (Zweck-) Optimismus und Schönfärberei, wo sie nicht nötig ist, dienen dabei indes nicht unbedingt der Sinnesschärfung. Manchmal liefert ein Blick von ‚draußen’ neue Perspektiven.

Die Medienmannschaft hat mit etwas zeitlichem Abstand und sachlicher Distanz zur WM in Dänemark und Deutschland einen ‚Big Player’ im deutschen Sportbusiness zum Interview gebeten. Dieser ist zwar nicht in der Szene zuhause, aber aus genau diesem Grund Absender womöglich interessanter und wertvoller Impulse, die nicht immer im Einklang mit der Eigenwahrnehmung der großen Handball-Familie stehen: Karsten Petry (43, unten im Bild), Deutschlandchef von Octagon, der weltweit führenden Agentur in Sachen Sport & Entertainment. Sein WM-Fazit fällt ebenfalls positiv, aber differenzierter aus.

handball wm petry

Herr Petry, die Handball-WM war aus deutscher Sicht ein großer Erfolg. Sportlich wie atmosphärisch. Hat das Turnier auch Sie gepackt?

Klar. Handball ist einfach eine der packendsten Sportarten überhaupt: Tempo, Zweikämpfe, Führungswechsel – wer da nicht mitgerissen wird, dem ist nicht zu helfen. Sportlich war sie natürlich im Vergleich zur EM 2018 um ein vielfaches besser. Allerdings wurde meines Erachtens schon deutlich, dass zur absoluten Weltspitze einfach einige Prozent fehlen. Die Konstanz über 60 Minuten hat in einigen Spielen gefehlt und in der Finalrunde dann ehrlicherweise auch die notwendige Qualität. 

Die verpasste Medaille schien dem Hype zunächst nicht viel anzuhaben. Mit dem Abstand eines Monats: Ist die Euphorie der letzten Wochen aber nicht letztlich doch wieder mal extrem erfolgsabhängig gewesen? Wie hält man die Erfolgstouristen bei der Stange?

Die Zuschauerzahlen an allen Spielorten in Deutschland waren schon wieder beeindruckend. Ich habe die Kulisse selbst beim Spiel gegen Kroatien in der Lanxess Arena erlebt. Für diese Stimmung stehen einfach große Events im Handball in Deutschland. Vergleichbar ist ja auch das EHF Final Four in Köln. Das waren zur WM natürlich zum einen Erfolgstouristen, zum anderen aber auch Eventpublikum, welches diese Stimmung erleben und mitgestalten wollte. Selbst bei einem eher mittelmäßigen Spiel wie Spanien gegen Brasilien hat die Lanxess Arena getobt – auch dank der Höhner, die in der Halbzeit ihr Lied von der Handball WM 2007 zum Besten gaben.  Das funktioniert natürlich immer mal wieder und hier wurde auch richtig inszeniert. Dauerhaft trägt das jedoch natürlich nicht und würde auch nicht in jeder Stadt und Halle funktionieren. Insofern bedarf es schon anderer, nachhaltigerer Maßnahmen, um langfristig ausverkaufte Hallen und vor allem auch relevante mediale Berichterstattung zu erreichen.

Für seine Kunden will Octagon stets eine Geschichte erzählen. Sie betonen, dass Storytelling glaubwürdig, authentisch und inspirierend sein muss. Welche Geschichte hat Ihnen diese WM erzählt? Welche die deutsche Mannschaft? Und welche Geschichte erzählt Ihnen die Sportart Handball?

Zur Erklärung: Wir entwickeln für jeden Kunden eine Shared Story, das heisst eine Geschichte, abgeleitet aus dem Markenkern unseres Kunden, kombiniert mit der Plattform und der Zielgruppe. So entstehen Geschichten, die nur das jeweilige Unternehmen, die jeweilige Marke erzählen kann. Rund um die WM habe ich viele Geschichten gesehen, aber ehrlicherweise keine solche Shared Story eines Partners.

Welche Stories haben Sie erreicht? Beispiele, bitte.

Es gab die Geschichte, dass Länder wie Brasilien sportlich aufgeholt haben und auch im Kreis von „traditionellen Handball-Ländern“ mitspielen können. Andere Geschichten scheinen zu Ende zu sein, wie die der Qatarischen Nationalmannschaft.

Eine Handball-WM funktioniert auch in zwei Ländern.

In Deutschland lassen sich immer wieder Hallen und Arenen zu sportlichen Großevents füllen.

Manche Nationalspieler fliegen lieber beleidigt weit weg in Urlaub, statt sich als Kandidat des erweiterten Kaders in greifbarer Nähe aufzuhalten, falls sie benötigt werden.

Stories gab es viele, aber für mich eben keine Shared Story eines Unternehmens, das seine Partnerschaft mit dem Turnier oder einem Nationalteam in eine einzigartige Kampagnen-Geschichte übersetzt hat.

Beim sensationellen EM-Gewinn 2016 gab es die Imagebildung namens ‚Bad Boys‘. So nennt sich das DHB-Team ja nicht mehr – das ist primär eher dem Misserfolg 2018 geschuldet als der Erkenntnis, dass dieses Image nie so richtig passte. Wie würden Sie die Truppe denn jetzt taufen?

Also, ‚Bad Boys’ war ja weit von der Realität und irgend etwas, was mit Markenführung und Positionierung zu tun hat, entfernt. Weder die Spieler im Erscheinungsbild, noch als Typen, noch die Spielweise hatten irgendetwas damit zu tun. Das ist dann in Wirklichkeit einfach ein ganz großer Fail und kann die Marke Handball-Nationalmannschaft, die ihren Platz in der Wahrnehmung nach wie vor sucht, eher schädigen, als dass sie nützt. Das Team hatte damals, wie heute eher handsome Diet-Coke Typen in ihren Reihen als Bad Boys.

Haben die Kampagnen der DHB-Partner Ihrer Wahrnehmung nach wenigstens verfangen? Wie beurteilen Sie die Durchdringung der Sponsoren durch Handball?

Bei mir persönlich ist Lidl mit seiner Kampagne und den einkaufenden Jungs, die sich an der Kasse elegant die Einkäufe zupassen, hängen geblieben. Zum Glück haben die Spieler darauf verzichtet, ihre Finger zu harzen, sonst wären einige Pässe sicher am Kassenband vorbei gegangen. Ehrlich, von den Botschaften, die Lidl, DKB, AOK und Co. eventuell absenden wollten, ist bei mir nichts hängen geblieben. Der Lidl-Spot aufgrund der etwas ungelenken Umsetzung und aufgrund des Werbedrucks. Ansonsten ist die Wahrnehmung der Partner im Handball weiterhin nicht gegeben. Brust, Rücken, Ärmel, Ausrüster, Verband, mehr Logos passen auf keinen Spieler. Dazu mindestens 13 Bodenaufkleber in der Halle, plus Banden. Da muss man schon Entscheider eines der Partner sein, um vorm TV oder in der Loge zu sitzen, sein Logo selbst zu entdecken und an eine Wahrnehmung, geschweige denn Durchdringung zu glauben.

Vollziehen Sie nach, dass die Verantwortlichen im deutschen Handball ihr ‚Produkt‘ als Mannschaftssportart Nummer eins nach König Fußball positioniert wissen wollen?

Eine Positionierung, die darauf abzielt, die Nummer zwei hinter einem Wettbewerber sein zu wollen – gemeint ist ja genau genommen ‚the Best of the Rest’, also die Nummer eins hinter Fußball –, ist ziemlich einfalls-, wenn nicht sogar hilflos! Zeigen Sie mir eine Marke, die diesen Weg geht und dabei erfolgreich ist. Kein Automobilhersteller, kein Handyhersteller, keine Marke im LEH, kein Finanzdienstleister etc. käme je im Traum auf diesen Gedanken. Herauszuarbeiten, was mich selbst ‚unique’ und vor allem relevant macht, da fängt Positionierung und Markenführung an. Eine klare Positionierung grenzt in der Regel dann auch gewisse Zielgruppen aus. Das ist aber unabdingbar und davor darf man dann auch keine Angst haben. Porsche positioniert sich auch nicht als demokratischste Automarke der Welt, die für jedermann bestimmt ist. Und genau das, neben einigen anderen Faktoren, macht diese Marke so begehrenswert.

Ist es dann eher wenig sinnvoll, dass die Handballer immer wieder Anleihen beim Fußball nehmen? Sei es in Kampagnen – in denen man sich teilweise regelrecht am Fußball abarbeitet(e), beispielsweise auf Plakaten und in Anzeigen usw. –, in Vergleichen oder einfach nur, wenn es darum geht, nach Vorbildern zu suchen? Müssten die Handballer noch stärker auf die eigene Identität setzen? Wäre diese WM dafür nicht jetzt die ideale Vorlage?

Ja, wie oben gesagt sollten die Handballer auf sich selbst schauen: Was macht die Liga, was machen die Teams, die Nationalmannschaften aus? Und was davon ist relevant für die angestrebte Zielgruppen, wie Kinder, die Handball spielen sollen, wie Zuschauer, wie Partner, wie Medien. Das ist ein Prozess, der dauert und nicht mal eben schnell gemacht ist. Darum sehe ich eine WM maximal als initialen Punkt, um einen solchen Prozess anzustoßen, aber auch nicht mehr. Für mich ist eine WM, die Stimmung und mediale Aufmerksamkeit drum herum eine Ausnahmesituation, die kein valider Indikator für die Entwicklung einer nachhaltigen und tragfähigen Identität ist.

Sehen Sie die Chance, dass diese WM - anders als nach dem Triumph 2007 - nachhaltig genutzt werden kann in Sachen Außendarstellung, Image und Vermarktung? Dass die Wirkung nicht wieder verpufft?

Zugegebenermaßen kann ich nicht en Detail beantworten, was derzeit in den Landesverbänden und somit an der Basis passiert. Aber genau da ist der Ansatzpunkt: In die Schulen, evtl. schon Kindergärten zu gehen. Freude am Handball zu vermitteln, junge Spielerinnen und Spieler stolz auf ihre Sportart zu machen, damit sie dabei bleiben, als Sportler und als Fans. Medial ist die WM aber bereits wieder verpufft, Bob Hanning ist mit seinen mutigen Pullovern aus dem Morgenmagazin verschwunden und in der HBL dominiert – trotz vieler knapper Resultate – in der SG Flensburg-Handewitt ein Team ohne einen einzigen bei der WM zum Einsatz gekommenen deutschen Nationalspieler. Der junge Johannes Golla war ja noch nicht dabei. Allerdings steht die EHF Euro 2024 als nächstes Handball-Großereignis in Deutschland an und medial gibt es auch eine Planungssicherheit für die Nationalmannschaft durch die Vergabe der TV-Rechte für alle Europa- und Weltmeisterschaften an ARD und ZDF bis 2025. Insofern herrschen grundsätzlich gute Rahmenbedingungen, die der DHB nutzen kann, um seine Sportart auf allen Ebenen voran zu bringen.

Wohin man hört in der Handballszene heißt es: „Wir müssen mehr Typen kreieren.“ Hand aufs Herz: Man kennt die Handballer zunehmend, auch namentlich – aber erkennt man sie auch? In der Fußgängerzone Münchens oder Hamburgs, nicht nur in Lemgo oder Kiel? Also: Abseits der Handball-Hochburgen?

Ehrlicherweise glaube ich nicht, dass sich an dieser Situation etwas ändern wird. Selbst wenn es das Eventpublikum bei einer WM ganz toll findet, Uwe Gensheimer mit „Uwe, Uwe“-Rufen zu huldigen, so wird er an einem normalen Tag in normaler Kleidung mitten in der Innenstadt in Frankfurt oder München mit großer Wahrscheinlichkeit kaum erkannt werden. Handball fehlt einfach die kontinuierliche Medienpräsenz der Liga und Nationalmannschaft. Die Frage ist aber doch eher, ob das so schlimm ist.

Bitte?

Dieses Thema „Wir brauchen Typen, um eine Sportart erfolgreich zu machen“ wird mir viel zu oft überstrapaziert. Ganz ehrlich: Solche Typen, mit Weltruhm, mit wirklicher Relevanz für Partner und Medien gibt es doch selbst im deutschen Fußball kaum. Welcher deutsche Fußballer ist denn regelmäßig in globalen Kampagnen von Unternehmen zu sehen, oder selbst in Kampagnen für den deutschen Markt? Können sich Fußball-Nationalspieler, wie Leno, Hector, Kehrer, Ginter, Schulz, Tah in jede Fußgängerzone jeder Stadt in Deutschland stellen und werden erkannt? Ich sage: Nein. Diese Spieler funktionieren in ihren Vereinen, der Fanbase, dem Einzugsgebiet hervorragend Und das muss auch im Handball funktionieren, um Fans zu binden, Jugendliche und Kinder zu begeistern, regionalen Medien Geschichten zu liefern. Und bei Großevents funktioniert das dann auf nationaler Ebene, wie das obige Beispiel mit Uwe Gensheimer zeigt.

Ist es nicht bezeichnend, dass die bekanntesten Gesichter, die Galionsfiguren des Handballs hierzulande, Heiner Brand und Stefan Kretzschmar sind – beide längst nicht mehr aktiv dabei…

Die Typen Brand und Kretzschmar sind für sich einzigartig, sie sind authentisch, wurden nicht ‚kreiert’ und wurden auch nicht immer geliebt und allerorten verehrt. Solche Typen entstehen, weil sie erst mal etwas mitbringen, das polarisiert, oder über Jahre entsteht, durch sportlichen Erfolg und authentisches Auftreten. Das kann natürlich in Teilen durch eine Kommunikationsstrategie unterstützt werden, aber ehrlicherweise muss sich da jeder Spieler Aufwand und Ertrag genau anschauen.

Noch ein Blick aufs Organisatorische: Fanden Sie es gelungen, dass in Deutschland und Dänemark zwei Gastgeber gemeinsam auftraten? Im Fußball gab es das bei EM und WM bereits – im Handball war dies eine Premiere … Ist das gar das Modell der Zukunft für Großevents in den Ball-/Teamsportarten?

Der gemeinsame Auftritt von Deutschland und Dänemark, in Kommunikation, mit gemeinsamem Signet etc., wirkte auf Außenstehende gelungen und einprägsam. Dieses Modell finde ich grundsätzlich absolut zukunftsfähig. Man kann in die Städte und Hallen gehen, die für Spieler, Zuschauer, Partner, Medien am attraktivsten sind. Wenn überhaupt Infrastrukturmaßnahmen und Investitionen notwendig sind, dann können diese dort getätigt werden, wo sie nachhaltig genutzt werden. Ein Gemeinschaftsprojekt von zwei oder mehr Ländern kann die Länder und Menschen näher zueinander bringen – wenn man es richtig anpackt und die Verbände und Organisatoren harmonieren. Dann ist es das Modell, das mit Abstand am besten in unsere heutige Realität und in die Zukunft passt.

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