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Staatlich gefördertes Doping auch in der BRD
- Marco Heibel
In Zeiten des Kalten Krieges und im Widerstreit der Ideologien Kapitalismus und Sozialismus war der Sport die Bühne, auf der jede Seite der anderen seine Überlegenheit zeigen wollte. Für den Westen holten die USA bei Olympischen Spielen meist die sprichwörtlichen Kohlen aus dem Feuer, für den Osten vor allem die Sowjetunion und ab den 1970ern auch die DDR. Dabei hätte man es eigentlich bewenden lassen können. Doch den Oberen der Bundesrepublik muss es ein Dorn im Auge gewesen sein, dass der Klassenfeind von der anderen Seite der Mauer sportlich die Nase vorn hatte – Doping hin oder her.
Also hatte man, gelinde gesagt, ab den frühen 1970er Jahren nichts mehr gegen das Doping westdeutscher Sportler einzuwenden. Das geht aus dem zweiten Teil der dreiteiligen Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ hervor. Forscher der Berliner Humboldt-Universitat und der Westfälischen Wilhelms-Universitat Münster setzen sich hierin schonungslos mit der westdeutschen Dopingvergangenheit auseinander.
Hier die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick:
- Nach Angaben der Forscher erfolgte der „Startschuss“ kurz vor den Olympischen (Heim-)Spielen 1972 in München, bei denen man auf jeden Fall mit dem Klassenfeind DDR mithalten wollte. Letztlich belegte die BRD mit 13 Gold-, 11 Silber- und 16 Bronzemedaillen Platz 4 im Medaillenspiegel, die DDR konnte man jedoch nicht erreichen (Platz 3 mit 20/23/23).
- Die Zielsetzung, die DDR sportlich einzuholen, ist auch nach München '72 bestehen geblieben. Einzig die gesundheitlichen Bedenken mehrerer führender Mediziner habe nach Angaben der Berliner und Münsteraner Forscher systematisches Doping verhindert. So existiert beispielsweise kein Dokument, laut dem Top-Athleten zum Doping gezwungen werden.
- Sehr wohl hat der Staat – unter Federführung des Bundesinnenministeriums – die Athleten jedoch mehr oder weniger direkt zum Doping animiert, etwa indem man die finanzielle Förderung der Athleten stärker an Top-Platzierungen bei Großereignissen koppelte oder die Sportler nur sporadisch auf Anabolika testete. Was man nicht sucht, kann man schließlich nicht finden.
- Kein Zufall ist daher, dass der Anabolika-Verbrauch in der BRD ab Beginn der 1970er Jahre drastisch anstieg. Dazu passt das von mehr als 50 anonymen Zeitzeugen bestätigte geflügelte Trainerwort „Ohne Anabolika hast Du keine Chance!“ Gerade in Kraftsportarten, wie dem Gewichtheben, gehen die Berliner und Münsteraner Forscher von einer Doping-Quote von 90 Prozent aus.
- Weiterhin wurden allem Anschein nach auch Gelder zur Erforschung alternativer Dopingtechniken von oberster Stelle bewilligt. Dazu passt, dass sich der vom Bundesinnenministerium verwaltete Spitzensport-Etat zwischen 1960 (2 Millionen DM) und 1972 (23,5 Millionen SM) beinahe verzwölffacht hat.
- Quintessenz: Gegen Doping hatte das Innenministerium wenig einzuwenden, aber gegen Dopingfälle und Misserfolge. Bevorzugt waren Methoden, die nicht auf der Dopingliste stehen, nicht gesundheitsschädlich sind, aber dennoch eine Leistungssteigerung bewirken. Wenn das mal so einfach wäre... Das es nicht ganz so einfach ist, zeigt die folgende Geschichte: Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1976 in Montreal entschied man sich zu einer überaus kreativen, aber auch unappetitlichen Lösung zur Leistungssteigerung: So sollten die deutschen Olympia-Schwimmer mit aufgeblasenen Eingeweiden antreten. In der Tat zeigte die „Aktion Luftklistier“ bei Tests Erfolg, die bundesdeutschen Schwimmer hatten eine bessere Wasserlage und erzielten schnellere Zeiten. Bei den Spielen selbst funktionierte das nicht so recht: Weil es im Schwimmstadion keinen geeigneten Raum gab, mussten die Athleten bereits im olympischen Dorf aufgepumpt werden – und waren bereits wieder luftentleert, als sie ins Becken stiegen. Nur am Rande: In Montreal ging die BRD im Vergleich zur DDR in jeglicher Hinsicht baden (10 Gold/12 Silber/17 Bronze gegenüber 40/25/25).