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Den Erfolg vor Augen – Visualisieren im Sport

  • jens heuer
Immer wieder sieht man vor Wettkämpfen Sportler mit geschlossenen Augen seltsam anmutende Bewegungen vollführen. Sportmuffel mögen die geistige Gesundheit dieser Menschen anzweifeln. Wer sich jedoch auskennt, weiß, dass der Athlet sich mit Hilfe von Visualisierungen auf den Wettkampf vorbereitet.

Mentaltraining ist ein weites Feld. Das Visualisieren ist jedoch ein derart wichtiger Bestandteil des Mentaltrainings, dass es häufig synonym verwendet wird; und zwar nicht zu Unrecht, wie Sportpsychologe Jens Heuer bestätigt: „Visualisierungstraining hat viele Facetten. Es wird unter anderem zur Verbesserung oder Vertiefung technischer Abläufe oder zur Verinnerlichung von Wettkampfabläufen auf der Basis bestimmter Vorstellungen eingesetzt. Auch die Motivations- und Konzentrationsfähigkeit kann dadurch gesteigert und das Vertrauen in den eigenen Körper nach Verletzungen wiederhergestellt werden.“

Visualisieren: Drehbuch für die innere Sicherheit


Der Geist hat bekanntlich einen großen Einfluss auf den Körper. Wenn wir an etwas Positives oder Negatives denken, mixt unser Gehirn sozusagen einen Hormoncocktail zusammen, der unsere körperliche Leistungsfähigkeit über Minuten, vielleicht sogar über Stunden und Tage beeinflusst. Wer sich beispielsweise während des Trainings oder vor einem Wettkampf vorstellt, wie er auf dem Siegertreppchen steht oder den perfekten Sprung, Wurf oder Lauf hinlegt, geht mit einer größeren Sicherheit an den Start als jemand, der einen ungültigen Versuch oder einen kapitalen Fehler vor Augen hat.

Fluch und Segen von Automatisierungen


Automatisierungen und feste Gewohnheiten im Sport sind gut – sofern sie „richtig“ verinnerlicht werden. Das menschliche Gehirn unterscheidet beim Lernprozess nicht, ob etwas physisch oder psychisch ausgeführt wurde. Das bedeutet zugleich, dass man etwas besser verinnerlichen kann, wenn man es nicht nur physisch, sondern auch psychisch bewusst nachvollzieht. Geschieht dies über einen längeren Zeitraum, steht am Ende ein Automatismus, nach dem der Sportler instinktiv handelt.

Doch dieses System ist durchaus fragil. Hat sich nämlich einmal ein Fehler eingeschlichen oder verfestigt, hat der Sportler ein Problem. Das Schwierige dabei: Ein solches Problem zu beheben, kann dauern. Bewusstes Nachempfinden, also Visualisieren, kann da helfen. So, wie es natürlich auch von vornherein hätte helfen können, den Fehler gar nicht erst aufkommen zu lassen.


Visualisieren: auf unterschiedliche Weise für jeden Sportler sinnvoll


Beim Stichwort „Visualisieren“ denkt man vor allem Rodler oder Skifahrer, die vor ihrem Lauf die Strecke im Kopf abfahren. Aber im Prinzip kann jeder Sportler individuell von Visualisierungen profitieren: Dass etwa Stabhochspringer, die viele unterschiedliche Bewegungsabläufe in Sekundenbruchteilen koordinieren müssen, mittels Visualisierungen an kleineren technischen Fehlern arbeiten können, indem sie sich jedes Detail ihres Bewegungsablaufes klarmachen, leuchtet wohl jedem ein. Doch selbst in Sportarten, die motorisch relativ simpel erscheinen, können Visualisierungen hilfreich sein: „Beispielsweise Läufer, bei denen sich über Jahre eine gewisse Technik eingeschliffen hat, können durch Vorstellungstraining gezielter an einer anderen Haltung oder Schrittlänge arbeiten“, erklärt Heuer.

Lernen unter Anleitung besser als learning by doing

„Richtiges Visualisieren kann man sich zwar theoretisch selbst beibringen, aber prinzipiell rate ich zum Erlernen unter Anleitung, um ‘Fehlprogrammierungen‘ zu vermeiden. Einmal richtig gelernt, kann der Sportler Visualisierungen dann individuell für seine Zwecke einsetzen. Wie schnell ein Sportler lernt, hängt in hohem Maße von seinem bisherigen Visualisierungsvermögen und seinen Erfahrungen in der Sportart ab. Ein Leistungssportler, der ein gutes Körperverständnis hat, kann zum Beispiel technische Defizite schneller erkennen. Und er lernt in der Regel auch schneller, diese abzustellen“, erklärt der Experte.

Aber auch weniger erfahrene Sportler sind nicht heillos verloren, wie Jens Heuer bestätigt: „Eine gewisse Imaginationsfähigkeit ist die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Visualisierungstraining. Erfahrung alleine hilft nicht unbedingt weiter, vor allem wenn es um den Aufbau von Motivation oder die Wiederherstellung des Vertrauens in den eigenen Körper nach Verletzungen geht. Sie kann vielmehr sogar hinderlich sein, wenn der Sportler zu schnell wieder dorthin will, wo er einmal war.“


Ablauf einer Sitzung

Beim Mentalen Techniktraining verfasst der Sportler zunächst eine ausführliche Bewegungsbeschreibung aus seiner rein subjektiven Perspektive. Geht es um die Visualisierung von Zielen, so sollten diese entsprechend ausführlich und konkret verfasst werden. „Besonders wichtig ist, dass der Sportler seine Empfindungen in der jeweiligen Situation klar darlegt“, erklärt Heuer. Auf Grundlage der Aufzeichnungen spricht der Sportler sich dann laut vor, wie er in der Situation XY handelt. Im zweiten Schritt betrachtet sich der Sportler von außen bei seiner Bewegungsausführung, wozu Videoaufnahmen von optimal verlaufenen Situationen verwendet werden können. Eine Variante hierzu ist die Visualisierung aus der Innensicht, wobei der Sportler sich wie in der Realbewegung mit perfektem Verlauf sieht und wahrnimmt. „Richtig durchgeführt, kann er dieses Gefühl dann transportieren und die Visualisierung in die Tat umsetzen“, so Heuer.

Vorstellungstraining kann unter professioneller Anleitung z.B. in mehreren Sitzungen einmal pro Woche abgehalten werden. Außerhalb dessen sollte das Gelernte so oft wie möglich wiederholt und vertieft werden.

Negative Visualisierungen: Immer positiv bleiben


Wie sich jeder denken kann, ist das Visualisieren von Stürzen oder körperlichen Einbrüchen alles andere als hilfreich. Allerdings können Visualisierungen auch dabei helfen, sich auf schwierige Situationen einzustellen und diese besser zu meistern. Sportpsychologe Jens Heuer erläutert: „Wer zum Beispiel bei einem Marathon an den Start geht, ist sich vorher schon bewusst, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann ‘beißen‘ muss. Hier wäre es falsch, sich darauf einzustellen, dass man in dieser Situation einbrechen könnte. Visualisierungen dürfen nie negativ sein. Stattdessen sollte man sich einen positiven Handlungsplan bereit legen: ‘Wenn der Fall X eintritt, dann werde ich der Schwäche widerstehen und meine Leistung aufrechterhalten, bis es wieder leichter geht‘.“ Zudem sollte man sich bereits in einer entsprechenden Visualisierung im Vorfeld beim Meistern dieser Situation sehen und das Gefühl aufbauen, wie es sich anfühlt, die Schwäche zu meistern.

Marco Heibel

Experte: Jens Heuer
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Details

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  • Star Vita: Jens Heuer ist Sportwissenschaftler und Sportpsychologe für Leistungssport in Hamburg und Münster. Sein Fachgebiet ist Individuelles Coaching für Sportler, Teams und Trainer in Fragen der Leistungserbringung und Wettkampfvorbereitung. Er selbst war leistungssportlich u.a. im Tennis, Langstreckenlauf und Triathlon aktiv.
  • Star Erfolge: Fachgebiet: Individuelles Coaching für Sportler, Teams und Trainer in Fragen der Leistungserbringung und Wettkampfvorbereitung

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