Heuberger hat richtig entschieden - Frank von Behren über die Vorrunde der Handball-EM
- Nils Borgstedt
netzathleten: Deutschland ist mit 4:0 Punkten in der Hauptrunde. Mehr geht nicht. Das war nach der Niederlage gegen Tschechien nicht unbedingt zu erwarten, oder?
Frank von Behren: Das ist ja das Schöne am Sport, dass er so unvorhersehbar ist. Dass sich die Mannschaft so klar für die Hauptrunde qualifiziert, damit konnte niemand rechnen. Niemand hat es ihr wirklich zugetraut, eine solche Leistung abrufen zu können – überhaupt. Das Spiel gegen Schweden war die beste Leistung dieses Teams seit langem. Auch unter Heiner Brand gab es das lange nicht. Wir haben ja den Schweden gar keine Chance gelassen. Die Art und Weise dieses Sieges war wirklich beeindruckend und macht sicher Mut. Endlich konnte die Mannschaft ihr ganzes Potential abrufen.
Aber man muss aufpassen. Es ist natürlich nicht wieder alles gut, nur, weil man ein starkes Spiel gemacht hat. Man darf nicht den Fehler machen und schon wieder vom Europameistertitel träumen. Gerade in der ersten Partie gegen Tschechien hat sie aber ja auch ein anderes Gesicht gezeigt. Da haben wir extrem verhalten und ängstlich agiert und sehr, sehr schlecht gespielt. Diese Angst haben sie nun aber komplett abgelegt.
netzathleten: Ein Schlüsselerlebnis auf dem Weg zum neuen Mut war sicherlich das Spiel gegen Mazedonien, das die Deutschen ja knapp mit 24:23 gewannen, oder?
Frank von Behren: Ja, im Nachhinein betrachtet kann man das so sagen. Man muss allerdings immer noch abwarten, wie es jetzt weitergeht. Wenn man nur auf die drei Vorrundenspiele schaut, war Mazedonien das Schlüsselspiel. Gegen Schweden haben wir dann eine andere Mannschaft gesehen.
netzathleten: Gestern fiel auf, dass es nicht ein einzelner war, der das Spiel entschieden hat. Das ganze Team hat gut zusammengearbeitet. In den Auszeiten kommen wieder vermehrt Spieler zu Wort. Kann man sagen, die Mannschaft hat sich nun endlich gefunden?
Frank von Behren: Man kann das natürlich nicht anhand eines Spiels ausmachen, aber es scheint zumindest so. Was mir aber viel mehr aufgefallen ist, ist, dass der Trainer Martin Heuberger eine wesentlich dominantere und auch gefestigtere Rolle gespielt hat. Auch er war natürlich in den ersten beiden Partien nervös. In der dritten Partie aber, hat er ganz klare Ansagen gemacht. Die eigene große Überzeugung in das Spielsystem und das Vertrauen in die eigenen Spieler waren richtig zu spüren. Seine Jungs dankten es ihm mit großem Glauben und Siegeswillen. Es war schön mit anzusehen, wie sich das Team auf ihre eigene Stärke besonnen und dem Gegner das eigene Spiel aufgedrückt hat. Die ganze Führungsspieler-Diskussion wird in meinen Augen unnötig aufgeheizt. Gegen Schweden hat man gesehen, wie es laufen kann und wie es laufen soll. Jeder hat für jeden gekämpft und alle haben sich dem Spiel untergeordnet. Mit einem zurückhaltenden aber starken Mann an der Seitenlinie.
netzathleten: Dass Heuberger der Chef im Ring ist, hat man aber auch schon im Mazedonien-Spiel anhand der Personalentscheidungen gesehen. Pascal Hens saß 60 Minuten auf der Bank und im Tor begann Carsten Lichtlein anstelle von Silvio Heinevetter. Zwei Entscheidungen, die für den einen oder anderen etwas überraschend kam.
Frank von Behren: Für mich war das nicht überraschend. Da hat Heuberger einfach ein super Gespür bewiesen, denn Lars Kaufmann hat sich im ersten Spiel Selbstvertrauen geholt und Pommes (Pascal Hens, Anm. d. Red.) war völlig neben der Kette. Heuberger stand nun vor der Entscheidung: Gebe ich Pommes noch ein Spiel, damit er sich fängt oder wird es dadurch noch schlimmer und ich lasse ihn besser raus. Und bei Lars Kaufmann wusste er: wenn ich dem jetzt mein Vertrauen gebe, auch wenn er Fehler macht, dann zahlt er es mir zurück. Und genau so ist es gekommen. Natürlich war der Wechsel riskant, denn wenn das in Hose gegangen wäre, hätte der Trainer sicherlich eine Mitschuld gehabt. Wenn er aber Pommes hätte spielen lassen und das Ding wäre nach hinten losgegangen, dann hätte Pommes alles abbekommen. Ich denke, Heuberger hat ihm damit einen Gefallen getan, dass er ihn nicht hat spielen lassen.
Auch mit dem Einsatz von Carsten Lichtlein lag Heuberger richtig. Lichtlein war schon in der Vorbereitung sehr stark. In den letzten beiden Tests hat er sogar besser gehalten als Heinevetter. Diese klasse Form hat er gegen Mazedonien auch gezeigt. Und nur dadurch, dass Lichtlein begonnen hat, war Heinevetter im Stande das Spiel zu gewinnen. Der Platz auf der Bank hat das letzte aus ihm herausgekitzelt. Er wollte wieder zeigen, dass er die eigentliche Nummer Eins ist.
Heinevetter für die Schlussphase zu bringen, war übrigens der nächste kluge Schachzug von Martin. Auch, wenn dieser Wechsel ebenso verletzungsbedingt vorgenommen wurde. Diese Reihe an guten Entscheidungen könnte man noch fortsetzen. Heuberger hat es geschafft, durch geschickte Wechsel und Anweisungen die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen und den betreffenden Spielern Selbstvertrauen zu geben.
Genauso wie im dritten Spiel gegen Schweden, in dem er Pommes gebracht hat, obwohl man genau gemerkt hat, dass er verunsichert ist. Er hat es geschafft, Pommes aufzubauen. Pascal hat sein erstes Feldtor geworfen und es scheint auch bei ihm wieder aufwärts zu gehen.
netzathleten: Hoffen wir, dass der Aufwärtstrend weiter geht, denn jetzt steht die Hauptrunde an. Serbien, Dänemark und Polen sind die kommenden Gegner. Damit musste man rechnen, allerdings nicht unbedingt mit den Platzierungen dieser Gruppe: Serbien Erster, Polen Zweiter und Dänemark nur Dritter.
Fran von Behren: Dass diese drei Teams durchkommen werden, konnte man in der Tat schon vorher absehen. Das allerdings Dänemark, als amtierender Vize-Weltmeister null Punkte mit in die Hauptrunde nimmt, ist eine faustdicke Überraschung. Damit können sie den Halbfinaleinzug eigentlich schon ad acta legen. Überrascht bin ich von den Polen, neben den Serben ja unser größter Gegner, in Bezug auf die Olympia-Qualifikation. Einen von beiden dürfen wir vorbei ziehen lassen, der andere muss hinter uns bleiben.
netzathleten: Am Samstag kommt es zum direkten Duell mit dem EM-Gastgeber Serbien. In Belgrad wird um 20:15 angeworfen.
Frank von Behren: Dass die Serben ins Halbfinale kommen, war und ist mein Tipp. Allerdings sehe ich uns auch in diesem Spie nicht chancenlos. Es ist das erste Spiel in dem wir wirklich befreit aufspielen können. In dieses Spiel darf man nicht mit Angst gehen, sondern mit unglaublicher Freude. Die komplette Halle wird gegen Deutschland sein und eigentlich können unsere Jungs dann nur positiv überraschen. Hinzu kommt, dass der Druck auf die Serben immens sein wird. Auch, wenn sie mit 4:0 Punkten aus der Vorrunde theoretisch ein Spiel verlieren dürften, werden sie alles daran setzen, keines ihrer Spiele abzugeben. Man muss aber ehrlicher Weise sagen, dass sie die dicksten Brocken mit Dänemark und Polen schon aus dem Weg geräumt haben. Was die Serben mit dem Publikum im Rücken zu leisten im Stande sind, das ist gigantisch. Aber ich gehe davon aus, dass sie es nicht über die komplette Spielzeit und vor allem nicht über die komplette Hauptrunde schaffen, konstant zu spielen. Sie werden sich einige Schwächen leisten. Ob das allerdings jetzt schon gegen Deutschland der Fall ist, das ist die Frage. Falls ja, müssen wir das nutzen!
netzathleten: Frank, vielen Dank für das Gespräch.