Und jetzt: Bitte Vorfreude auf die Heim-EM … Derk Hoberg
WM 2022: Erneutes Vorrunden-Aus für den DFB

Und jetzt: Bitte Vorfreude auf die Heim-EM …

  • Frank Schneller
… doch so einfach ist das nicht: Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer kam zum zweiten Mal in Folge nicht über die Gruppenphase bei einer WM hinaus. Dazwischen lag ein verlorenes EM-Achtelfinale. Die Verantwortlichen wollen – wieder einmal – alles systematisch „aufarbeiten“. Beziehen sie sich wenigstens diesmal in diese Analyse mit ein? Wer übernimmt (endlich) Verantwortung?
So kurz nach dem Abpfiff, noch dazu im Moment größter Enttäuschung, ist es schwierig und selten ratsam, alles ins Mikrofon und vor den TV-Kameras Gesagte auf die Goldwaage zu legen. Dennoch lohnt es sich manchmal, achtsam zu sein, wer da was in welchem Moment sagt. Hansi Flick zum Beispiel, der DFB-Nationalcoach, zog kurz nach dem Vorrunden-Aus seiner Mannschaft in Katar schnell eine Bilanz in eigener Sache, als man ihn nach etwaigen Konsequenzen seinerseits fragte. An ihm werde es nicht liegen, ob er weitermache. Er habe Spaß an und bei der Arbeit, sein ‚Staff‘ leiste tolle Arbeit.

Rücktrittsgedanken seinerseits? Mitnichten! Zweifel an der von ihm abgelieferten Leistung? Nicht wirklich. Dann ist ja alles gut. Und klar. Auf die Fragen und Kritik zum auch gegen Costa Rica unrunden deutschen Kick fiel dem Bundestrainer das Umschaltspiel indes schwerer. Einen ähnlich klaren Blick auf die Dinge wie in eigener Sache konnte man vom einstigen Erfolgstrainer des FC Bayern im bittersten Moment seiner zweiten DFB-Amtszeit – Flick war bereits von 2006 bis 2017 auf unterschiedlichen Posten im Verband tätig – auch nicht erwarten. Man werde das analysieren. Aufarbeiten. Und dann: Blick nach vorn, auch wenn die Enttäuschung im Moment natürlich riesig sei. Dennoch: Weiter. Immer weiter.

Das war wenig überraschend. Dass Flick im WM-Jahr nie zu einer Kernformation gefunden und das Team immer wieder durcheinander gewürfelt hatte – diese Einsicht steht noch aus. Für den Bundestrainer galt in Katar zuletzt, die eigene Defensive zu stärken. Schon am Tag vor dem Spiel gegen Costa Rica hatte Flick während der Pressekonferenz auf eine Frage nach seiner Zukunft im Falle eines Ausscheidens in der Vorrunde erklärt, er habe ja einen Vertrag bis 2024 – und freue sich auf die EM im eigenen Land. Von dieser Vision – dem großen Erfolg vor heimischem Publikum – träumen und schwärmen sie alle beim DFB.

Auch Oliver Bierhoff. Der ist seit Juli 2004 DFB-Funktionär. Zunächst als Manager der Nationalmannschaft, später als DFB-Direktor Nationalmannschaften und Akademie und neuerdings als Geschäftsführer der Nationalmannschaften und Akademie. In seine Amtszeit fiel der WM-Titel 2014. Zusammen mit Joachim Löw, Flicks Vorgänger, hielt er zu diesem Zeitpunkt das Heft des Handelns in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt ganz fest in der Hand.

Selbstreflektion klingt anders, sieht anders aus

Als die DFB-Auswahl bei der WM in Russland nach zahlreichen Fehlern im Vorfeld des Turniers und zwei desolaten Vorrundenspielen vorzeitig abreisen musste, kündigten Bierhoff und Löw eine knallharte Analyse des Scheiterns an. Alles werde auf links gedreht, alle(s) hinterfragt – nur sich selbst nahmen Bierhoff und Löw davon aus. Bierhoff kategorisch, Löw nach ein paar Tagen zur Schau gestellten Überdenkens.

Auf der anschließenden Pressekonferenz gab’s Alibis, Pseudo-Selbstkritik. Und Bauernopfer. Im Verband hatte es derweil offenkundig niemanden gegeben, dem die beiden Hauptverantwortlichen Rechenschaft ablegen mussten. Verantwortung für den Misserfolg? Hatten andere. Löw durfte noch ein Turnier (die EM) coachen, Bierhoff danach den neuen Wunschtrainer ins Amt holen. Einen aus der DFB-Familie.

Auch im Zuge des bitteren Endes in Katar machte Bierhoff nicht den Eindruck, als beschleiche ihn das Gefühl, sich selbst hinterfragen zu müssen. Er habe schließlich ein „sehr gutes Gefühl für mich“. So, so. Okay: Auch er wurde direkt nach dem Schock des Scheiterns darauf angesprochen. Da wirft man sich nicht live im TV auf den Rücken. Dennoch passte der Auftritt Bierhoffs einmal mehr ins Bild: Er habe das Drumherum gemanagt. Und das sei alles gut organisiert worden von seinen Leuten und ihm. Dass er dem latenten Vorwurf, die Entrücktheit des DFB und seines männlichen Nationalteams zu verkörpern, weitere Nahrung gab, indem er einmal mehr ein überkandideltes Wohlfühl-Quartier abseits des Geschehens auswählte, draußen in der Wüste, das hatte er nicht auf dem Schirm. Selbstreflektion klingt anders.

Auf Nachfrage räumte er immerhin noch ein, dass es vielleicht doch ein Fehler gewesen sein könnte, das ‚One-Love-Armbinden-Thema‘ vor dem verlorenen Auftaktspiel gegen Japan derart orchestriert zu haben, dass es – ein Vorbote auf die sportliche Darbietung – krachend scheitern musste. Aber nachher ist man immer schlauer.

Verstrickt im Dickicht von Sport, Politik und Moral

So einfach ist das nicht. Eingeknickt vor der FIFA. Spieler in ein Politikum verstrickt. Überfordert. Blamiert. Auf ganzer Linie. Wenig gelernt aus dem desaströsen Krisenmanagement in der Causa Özil/Gündogan vor vier Jahren. Der DFB: Wieder gescheitert am Umgang mit der eigenen Haltung im Dickicht aus Sport, Politik und Moral. Und auf dem Spielfeld.

All das gehört natürlich in den Verantwortungsbereich des wenig überzeugend auftretenden Präsidenten Bernd Neuendorf, aber eben auch und wahrlich nicht zuletzt in den Oliver Bierhoffs. Seine Bilanz gehört auf den Prüfstand. Und zwar nicht wieder nur auf seinen eigenen. Er selbst räumt zwar (zurecht) ein, er habe gerade wenige Argumente angesichts dreier schlechter Turniere in Folge. Aber Konsequenzen für sich daraus abzuleiten, daran denke er „vorerst“ nicht. Dabei liegen den Misserfolgen und Fehltritten der letzten vier, fünf Jahre systemische Ursachen zugrunde.

Und: Es scheint, als sei ein falsches Selbstbildnis, ein abgehobenes Selbstverständnis Teil des Problems. Weltmeister wollte man werden. Aber wie? War nicht schon lange klar, dass eine Mannschaft, die derart fragil im Defensiv-Verhalten daherkommt, selten weit kommt? Woher nur kam die immense Erwartungshaltung im Umfeld? In den Medien? Wunschdenken? Ignorierten alle, wie wenig ausgewogen das Talent innerhalb der einzelnen Mannschaftsteile der DFB-Auswahl wirklich ist?

Parallelen zur WM in Russland unverkennbar

Die phasenweise Überheblichkeit, mangelnde Konsequenz und Präzision innerhalb einer Partie als auch die oft mangelhafte Konzentration einiger Spieler kamen ja nicht erst bei der Wüsten-WM zum Vorschein. Das DFB-Team schleppt diese Makel schon seit Jahren – unter Löw, aber auch unter Flick – mit sich herum.

Die Parallelen zur WM in Russland drängten sich nicht nur beim Auftakt gegen Japan, sondern auch ab der 30. Minute des Spiels gegen Costa-Rica wieder auf. All das hat auch Hansi Flick nicht in den Griff bekommen. Da mag er noch so viel Spaß bei der Arbeit haben. Gegen Japan gab sein Team das Spiel leichtfertig aus der Hand. Auch aufgrund seiner personellen Entscheidungen. Gegen Costa Rica ließ es wieder locker und begann zu stolpern. Erneut flankiert von Flicks Umstellungen. Nur gegen Spanien stimmten Intensität und Fokussierung in weiten Teilen.

Man darf gespannt sein, was die kommenden Tage und Wochen bringen. Wer außer (vermutlich) Thomas Müller – selbst dem so eloquenten und bodenständigen Münchner gelang der Live-Rücktritt nach dem Spiel nur wenig elegant – zieht Konsequenzen? Wer übernimmt Verantwortung? Manuel Neuer, bloßgestellt durch das ‚One-Love‘-Theater und sportlich auch nicht mehr völlig unangreifbar? Es wird analysiert, ausgewertet und aufgearbeitet werden. Hoffentlich fangen Bierhoff und Co. an den richtigen Stellen damit an. Lange vor dieser WM. Und endlich bei sich selbst. Dann kommt auch die Freude auf die Heim-EM vielleicht irgendwann. Derzeit aber ist dafür kein Platz.

Übrigens: Belgiens Nationalcoach Roberto Martinez erklärte nach dem Vorrunden-Aus – dem ersten vorzeitigen Scheitern der Belgier in der Gruppenphase während seiner Amtszeit – seinen Rücktritt.

Kontakt

Copyright © 2017 netzathleten