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Dallas gegen Miami - Die Neuauflage der NBA-Finals von 2006
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Es ist jedenfalls schon erschreckend, wie viele Parallelen sich zwischen den Playoffs 2006 und 2011 finden lassen – zumindest aus Sicht der Mavericks. Damals galten sie als gutes Team, das in den Playoffs aber zu selten durchkommt und Dirk Nowitzki nicht unbedingt als der Spieler, der gegnerischen Coaches in der Crunchtime Kopfschmerzen bereitet, der sich erst noch beweisen musste. Außerdem würde man ja sowieso wieder an den Spurs scheitern, wie all die Jahre zuvor auch. Das Ende der Geschichte ist bekannt – auf dem Weg in die Finals kegelte man erst den Erzrivalen aus Texas raus, als man in der zweitbesten Serie der letzten Dekade (sorry, aber wirklich nichts kommt an Boston-Chicago 2009 ran) das siebte Spiel sogar in San Antonio gewann und Dirk Nowitzki mit 37 Punkten, 15 Rebounds und dem mittlerweile berühmten „And One“ Sekunden vor Schluss, das das Spiel in die Verlängerung schickte, alle Fragen nach seinen Crunchtime-Fähigkeiten beantwortete. Die Conference Finals wurden dann zur großen Dirk-Show, seinem wohl besten Playoff-Auftritt mit 50 Punkten gegen die Phoenix Suns inklusive. In den Finals dann die schmerzliche Niederlage gegen Miami, das mit Dwyane Wade und Shaquille O’Neal (der aber eher schwache Finals spielte) zwei Superstars und um diese herum viele Rollenspieler ins Rennen schickte.
Nun, das Star-Duo der Heat dieses Jahr ist mit Wade und LeBron James vielleicht noch etwas beeindruckender, diesmal hat Miami sogar eine starke dritte Option in Chris „not-so-fearless“ Bosh. Das führt dann auch dazu, dass in der medialen Wahrnehmung die Miami Heat als leichter Favorit in die Finals gehen – während 2006 die Mavericks nicht nur aufgrund des Heimvorteils im Vorteil gesehen wurden. Unterstützt wird diese These dadurch, dass die Heat den vermeintlich schwereren Weg hatten – vorbei an den verletzungsgeplagten Celtics, deren bester Spieler ab Spiel Drei auch nur noch einarmig spielen konnte, vorbei an den als One-Man-Show entlarvten Bulls, die gleich zwei dicke Chancen in den Spielen Vier und Fünf liegen ließen. Ein weiteres Pro-Argument für Miami: Dallas hätte ja schon Schwachstellen offenbart, zum Beispiel in der Erstrundenserie (die mittlerweile sooooo weit weg zu sein scheint), als Brandon Roy ein Spiel ablieferte, das selbst Superman wie einen gewöhnlichen Streifenpolizisten hätte aussehen lassen, und gegen die Thunder, die sich gleich zweimal einen dicken Vorsprung zum Spielende nehmen ließen.
Vielleicht ist es noch nicht ganz deutlich geworden, aber ich halte beide Argumente für Bulls***. Miami hatte in der ersten Runde de facto ein Freilos, da Philadelphia trotz allen Lobes von mir nicht für eine Mannschaft wie die Heat bereit war und auf so ziemlich jeder Position gnadenlos unterlegen war. Boston war, wie schon erwähnt, von Verletzungen geplagt, hatte einen der wohl schlechteren Trades der Vereins-Historie hinter sich und erlebte seinen besten Spieler als einarmigen Banditen, nachdem Dwyane Wade Basketball mit Ringen verwechselt hat. Und trotzdem haben die Celtics noch ein Spiel gewonnen, ein weiteres erst in der Verlängerung verloren (nachdem man in der Crunchtime eigene Plays versaute und LeBron einen Dreier traf, den er bei hundert weiteren Versuchen nicht mehr trifft) und waren auch im fünften Spiel mit Miami auf Augenhöhe. Auch Chicago hat viele Spiele eng gestaltet, die Heat mit 20 Punkten deklassiert und in Spiel Fünf einen schweren Einbruch hingelegt, als es drauf ankam. Ich will nicht die Heat diskreditieren – niemand steht unverdient, nur mit Glück oder sonstwas in den Finals –, aber ich finde, dass Dallas gerade in den US-Medien etwas zu schlecht wegkommt.
Anyway, das soll uns ja nicht weiter stören und nachdem hoffentlich geklärt ist, dass von der Ausgangssituation her niemand entscheidend im Vorteil sein sollte (der Pluspunkt, den Miami wirklich hat, ist der Heimvorteil), kann man sich ein paar Gedanken zum möglichen Serienverlauf machen. Zuerst sei natürlich gesagt (und das ist wirklich keine Überraschung), dass es wohl kaum gelingen dürfte, Wade und James auf der einen sowie Nowitzki auf der anderen Seite komplett aus dem Spiel zu nehmen. Miami hat immerhin den Vorteil, sich scheinbar nur um einen Spieler kümmern zu müssen, während Dallas eben mit zwei Superstars und Chris Bosh zu kämpfen haben wird. Solange Dallas im Eins-gegen-Eins verteidigt, halte ich es für wahrscheinlich, dass Marion James übernimmt und Kidd/Stevenson sich um Wade kümmern – das dann aber mit ein, zwei Schritten Abstand, um so dem wohl besten Shooting Guard der Liga den Drive zu nehmen. Gespannt bin ich darauf, wie sich Dallas gegen die Big Men der Heat verhält. Verteidigt Dirk Bosh oder Joel Anthony, um so eventuellen Foulproblemen zu entgehen? Versucht man sich an der Taktik, die auch die Bulls bemüht haben, und setzt den Verteidiger von Anthony einfach als universellen Hilfsverteidiger ein? Falls ja, würde das definitiv für Tyson Chandler sprechen, der dann nicht nur aufgrund seiner Fähigkeit, Würfe zu blocken, im Vorteil wäre, sondern auch, weil er gegnerische Angriffe wesentlich besser lesen bzw. antizipieren kann als Nowitzki.
Was aber ebenso sicher ist: Rick Carlisle wird auch oft genug wieder die Zonenverteidigung bemühen, die Dallas so gut wie kein zweites Team in der NBA spielt. Das macht gegen Miami sogar viel Sinn, da meistens nur ein wirklicher Shooter auf dem Parkett steht und die große Postpräsenz, mit der man eine Zone knacken kann, ebenfaalls nicht vorhanden ist – jedenfalls nicht, solange LeBron James sich nicht entschließt, in den Post zu gehen. Und darauf warten wir alle auch schon seit Jahren vergeblich. Außerdem ist gerade gegen eine Zone viel Bewegung im Angriff wichtig, was mir bei Miami manchmal etwas fehlt – kein Wunder, ich würde auch auf möglichst viele Isolations oder Pick-and-Rolls setzen, wenn ich zwei derart starke Flügelspieler hätte. Die Zone dürfte also für Dallas recht verlockend aussehen und auch das defensive Prinzip der Mavericks beschreiben: Miami so weit es eben geht den Zug zum Korb nehmen und James/Wade so oft wie möglich zum Sprungwurf zwingen. Zwar waren James’ Hände in der Bulls-Serie heißer als die Flammen im teameigenen Logo, aber an Stelle der Mavericks würde ich die Mischung aus Wahrscheinlichkeit und Lehren der Vergangenheit bevorzugen: die hat nämlich gezeigt, dass James gerade als Schütze äußerst streaky ist, aber auch sehr schnell abkühlen kann. Zudem hätten viele Sprungwürfe den Vorteil, dass Dallas wohl nicht zu viele Fouls begehen dürfte (ich denke hier vor allem an Tyson Chandler) und Miami somit nicht an der Freiwurflinie leben könnte – solange jedenfalls die Schiedsrichter nicht Dick Bavetta oder Bennetto Salvatore heißen.
Miami dagegen wird sich logischerweise vor allem auf Nowitzki konzentrieren. Ich glaube zwar nicht, dass sie ihn mit nur einem Spiel irgendwie verteidigen können, aber das müssen sie ja auch nicht zwingend – eher wird wohl am Anfang probiert werden, gegen Dirk zu doppeln und den Ball wieder aus seinen Händen zu befördern. Eine derartige Verteidigung hat zwar auch schon in diesen Playoffs bei anderen Teams nicht funktioniert (ich glaube, jeder hat das gegen Dallas versucht), ist aber trotz allem wohl der beste Weg, um das fein geölte Angriffsystem der Mavericks ins Stottern zu bringen. Eventuell versucht man auch, Nowitzki mit James zu verteidigen – meiner Meinung nach wäre das vielleicht sogar ein lohnender Versuch, da James die Kraft und Athletik hätte, um Nowitzki unter Druck zu setzen. Bliebe nur das Problem, dass Dirk massenhaft Fouls zieht und es sich Miami nicht wird leisten können, James über weite Strecken einer Partie zum Bankdrücker zu degradieren.
Sonst wird man gegen Dallas vor allem eine gute Teamdefense zeigen müssen. Neben Nowitzki gibt es nicht den Star, der das Team trägt, sondern bisher hat immer ein anderer übernommen – wenngleich Jason Terry durchaus als zweite Option im Angriff bezeichnet werden darf. Da die Mavericks aber den Ball unglaublich schnell laufen lassen, wird es vor allem auf das Rotieren in der Verteidigung der Heat ankommen, um offene Würfe zu verhindern. Bislang ging es in Miamis Defensivschemata vor allem darum, Spielern wie Rondo oder Rose den Zug zum Korb zu nehmen bzw. diese zu doppeln und dann den schnellen Kickout zu verteidigen. Das spiegelt aber nur bedingt das System der Mavericks wieder (eigentlich fällt mir hier nur Barea ein, der diese Spielweise bevorzugt), weshalb sich Erik Spoelstra wohl eine gänzlich neue defensive Taktik ausdenken wird. Wie diese aussieht und vor allem, wie effektiv diese sein wird, dürfte den Ausgang der Finals maßgeblich beeinflussen. Es wird jedenfalls nicht einfach, diese Mischung aus hohen Pick-and-Rolls (mit abartig vielen Spielern, die diese als Ballführender laufen können), Baseline-Screens und Breitmachen des Spielfelds mit zwei Schützen in der Ecke zu verteidigen.
Soweit also zu den Systemen, bleiben noch die Intangibles. Aus meiner Sicht sind diese bei den Heat relativ klar zu benennen: Zuerst (wie immer bei Miami) wird es darauf ankommen, wie viele Pfiffe gerade Wade und James kriegen. Sollten die Schiedsrichter nicht jeden Luftzug, der die penetrierenden Spieler der Heat trifft, mit einem Foul ahnden, ist schon einmal ein wichtiger Faktor weg. Zudem wird dem Bank-Duo Udonis Haslem/Mike Miller massive Bedeutung zukommen. Sollten sie an die Bulls-Serie anknüpfen können, ist a) der Vorteil der Mavericks hier nicht mehr ganz so drastisch und b) schafft das ganz neue Herausforderungen für die Defense der Mavericks. An Stelle der Texaner würde mir eine funktionierende Aufstellung Wade/Miller/James/Bosh/Haslem am meisten Kopfschmerzen bereiten, weil man dann viele der oben durchgeführten Gedankenspiele ad absurdum führen kann. Ach ja, Chris Bosh sollte möglichst auch nicht eingeschüchtert sein, sobald man nicht mehr vor 20.000 Bandwagon-Fans spielt.
Auf Seiten der Mavericks wird es darum gehen, dass vor allem die Dreier von Terry, Jason Kidd und Peja Stojakovic getroffen werden. Sollten sie offene Würfe regelmäßig bestrafen, erschwert das Sachen wie Doppeln von Nowitzki, reines blitzen bei Pick-and-Pop, um Mismatches zu vermeiden, oder aushelfen bei einem Drive zum Korb ganz erheblich. Außerdem könnte – so blöd es sich anhört – die Motivation eine Rolle spielen. Da Miami, wie wir ja schon vor einem Jahr gehört haben, noch gefühlte hundert weitere Male in den Finals stehen wird, könnte ein eventueller Verlust der diesjährigen Finalserie nicht weiter tragisch sein. Dallas besteht aus vielen Veteranen, das Meisterschaftsfenster steht schon auf Kippe, Nowitzki kann sich mit nur einem Ring zum wohl zweitbesten Power Forward der Ligageschichte aufschwingen. Mit anderen Worten: Dallas weiss definitiv, dass die Chance wohl einmalig sein wird und wird sich dementsprechend voll reinhängen. Natürlich wird Miami das auch tun, vor allem LeBron James dürfte ein lang ersehnter Titel viel bedeuten. Aber es wird definitiv nicht die letzte Chance sein, die sie haben – und das macht vielleicht einen minimalen Unterschied aus.
Bleibt mir die undankbare Aufgabe einer Prognose zum Schluss. Die einfache Antwort: Das Team, das zuerst drei Siege auf dem Konto hat, wird die Serie gewinnen. Beide haben einen absoluten Killerinstinkt, wenn es darum geht, eine Serie dicht zu machen - unnütze Statistik am Rande: Miami verlor seit 2006 nur zwei Closeout-Spiele (2006 gegen Detroit, dieses Jahr gegen Philly), Dallas ebenfalls (zweimal gegen die Spurs 2006). Das war’s dann aber auch schon, denn sonst wirkt vieles ausgeglichen: Beide sind Auswärts verdammt stark, beide haben noch kein Heimspiel in dieser Endrunde verloren beide sind zu Hause noch stärker (erst eine Heimniederlage für Dallas gegen OKC, noch keine für Miami), beide haben genug kritische Momente überstanden. Sollte Dallas eines der ersten beiden Spiele holen, könnte es interessant sein – vor einer derartigen Situation standen die Heat nämlich noch nicht. Letztlich ist es für mich so, dass die Offensive der Mavericks schwerer zu verteidigen ist als die der Heat, wofür auch die Tatsache spricht, das Miami lediglich dreimal in diesen Playoffs dreistellig punktete (gut, in der Eastern Conference wird auch härter verteidigt als im Westen, aber trotzdem), Dallas hingegen schon siebenmal. Da ich denke, dass beide auf ähnlich hohem Niveau verteidigen werden, gibt das für mich den Ausschlag: Nowitzki holt seinen ersten Titel, Dallas gewinnt 4:2.
Malte Arndt