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Wann kommt der Wendepunkt? - ein Kommentar zu den Charlotte Bobcats
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Dass sich der defensive Spielstil der letzten Saison nicht ohne weiteres übertragen lässt, hätte zumindest dem Coaching Staff der Bobcats klar sein müssen. Der gemeine Fan kann schließlich kaum abschätzen, welchen Wert zum Beispiel ein Tyson Chandler für die Defensive hatte, ehe er aus den Dallas Mavericks eines der besten Defensiv-Teams der Liga machte. Kann man sich aber ausmalen, welchen Effekt er hat, wenn man tagtäglich Trainingseinheiten mit ihm absolviert, dabei mitkriegt, wie er kommuniziert und dirigiert? Eigentlich schon. Dass man auch keinen defensiv-orientierten Big Man im Kader hat (außer den Kadaver von DeSagana Diop), sollte eigentlich ein weiteres Indiz dafür sein, dass man vielleicht seinen Spielstil zur neuen Saison überdenken sollte. Ich vermute, dass die Dinge vielleicht manchmal zu offensichtlich sind, um sie zu verstehen.
Dass man mit Felton und Chandler nicht nur starke Verteidiger, sondern auch ein formidables Pick and Roll-Tandem verlor - und im modernen Basketball gefühlte 60% aller Halfcourt-Angriffe als Pick and Roll gelaufen werden - wiegt dann bei einem langsamen Spielstil umso schwerer. Das alles mit Defensiv-Fanatiker (und einem notorisch sturen) Larry Brown kombiniert war eigentlich schon ein Rezept für eine desaströse Saison. Weitere Hindernisse: Mit D.J. Augustin ein Point Guard, der eigentlich Backup sein sollte und dem im Halfcourt jegliche Qualitäten als Aufbau abgehen (wohingegen er im Fullcourt mit seiner Schnelligkeit für wesentlich mehr Gefahr sorgt), mit Tyrus Thomas ein überathletischer Power Forward, dem es aber an Spielverständnis mangelt und der trotz guter Help-Defense ebenfalls im schnellen Spiel viel besser agiert und, was besonders schwer wiegt, mit Stephen Jackson nur eine verlässliche Scoring-Option, was tödlich für jeden Halfcourt-Basketball ist (wie uns das Beispiel Orlando vor dem Trade gelehrt hat). Konnte man in der Vergangenheit wenigstens über Felton noch etwas kreieren, war Jackson alleiniger Fokuspunkt, der Scoring und Spielaufbau übernehmen musste und der, bei allem Respekt, nicht die Offensivmacht ist, die jeden gegnerischen Gameplan über den Haufen wirft.
Nachdem der Start also so kam, wie er kommen musste, ist Larry Brown zurückgetreten, Paul Silas übernahm das Ruder und kann seitdem eine Bilanz von 8-6 als Cheftrainer vorweisen. Dass man dabei mit Ausnahme der Chicago Bulls (das dann aber gleich zweimal) nur gegen Teams gewann, die eine negative Bilanz haben - who cares? Die Verbesserung ist so oder so offensichtlich: Augustin fühlt sich im Open Court viel wohler und kann so seine eigentlichen Defizite als Point Guard überspielen. Mit Boris Diaw und Jackson hat man zudem zwei weitere Spieler, die passable Ballhandler sind und Fastbreaks initiieren können (auch wenn Diaw vielleicht etwas abspecken müsste, um sein ganzes Können auszuspielen). Gerald Henderson (in eingeschränkter Rolle - aber immerhin spielt er überhaupt eine) und Gerald Wallace sind athletische Flügelspieler, die vom neuen Spielstil ebenfalls profitieren. Dass man jetzt nicht jeden Gegner aus der Halle rennt, ist klar, aber die Veränderung ist offensichtlich: Hat man in dieser Saison unter Brown nur siebenmal mehr als 100 Punkte erzielt, schaffte man das unter Silas schon fünfmal. Von der grauenhaft besetzten Center-Position wird nur noch verlangt, die Rebounds einzusammeln und möglichst schnell den eigenen Angriff einzuleiten - immerhin überfordert man so Kwame Brown oder Nazr Mohammed nicht.
Ob es am Ende für die Playoffs reicht? Der Osten ist immerhin weit offen, was die letzten beiden Plätze angeht und die Bobcats sind bestimmt nicht schlechter besetzt als ihre Konkurrenten. Das gefährliche ist nur, dass sich ein Team mit einem einzigen Trade so enorm verbessern könnte, dass es relativ schnell eng werden kann mit der Postseason. Andererseits spricht auch wenig dagegen, dass Charlotte das Team sein könnte, das den entscheidenden Trade setzt (OK, vielleicht spricht der Mangel an Spielern und Picks, die für andere interessant sein könnten, dagegen). Fakt ist, dass es Jahr für Jahr ein Team gibt, dass entweder um das All Star-Spiel herum oder schon im Januar den Wendepunkt erlebt und einen starken Schlussspurt hinlegt. 2009 waren es die Bulls, 2010 die Bucks und vielleicht ist das das Jahr der Bobcats. Und selbst wenn nicht - ich habe mich selber dabei erwischt, wie ich in letzter Zeit immer öfter bei den Bobcats vorbeischaue, wenn mein League Pass läuft. Und allein das ist schon ein großes Kompliment an Silas und den veränderten Spielstil.
Malte Arndt