gettyimages.de -- Nur ein Aspekt der zahlreichen Fan-Proteste im heutigen Fußball: Die zunehmende Zerstückelung des Spielplans
DFL muss Befindlichkeiten der Fans ernstnehmen
- Frank Schneller
Bei der FIFA WM in Russland gehörten sie zu den Big Playern unter den Consulting- und Full Service-Agenturen, die vor Ort im Auftrag der Partner und Sponsoren des Weltverbandes in Aktion waren: Karsten Petry und Dennis Trautwein, Managing Director und Vice President von Octagon Germany. Im Interview sprechen die Marketing-Experten über eines der aktuell dominantesten Themen in der Welt des Sports (Fußballs): Dessen Kommerzialisierung.
Octagon betreute bei der WM in Russland auf unterschiedlichsten Spielfeldern einen Großteil der FIFA-Partner und-Sponsoren. Provokant gefragt: Stehen Sie als Dienstleister auf der dunklen Seite der Macht?
Petry: Wie bitte sollen wir das denn verstehen?
In Deutschland ist die Diskussion allgegenwärtig, ob der Sport sich nicht längst verkauft und seine Identität aufgegeben hat. Und Sie zählen zu den Protagonisten des Sportbusiness.
Petry: Und nun wollen Sie darauf hinaus, dass Sport nur noch Sport-Business ist? Nein, das ist es nicht! Der Sport hat sehr wohl noch ein Herz und eine Seele. Sport-Business selbst muss ebenfalls Herz und Seele haben. Sportliche Ziele stehen heutzutage sicher in einem Bezug zu kommerziellen Zielen, aber dass sie sich diesen unterwerfen müssen – das geht nicht. Dann würden die Methoden, sportlichen Erfolg zu erlangen, zwangsläufig unlauter. Stichwort Doping. Stichwort Manipulation ... So negativ sehe ich die Sportwelt aber nicht. Klar: Es geht im Spitzensport schon lange nicht mehr nur um Ruhm und Ehre, aber die Sponsoren, die Unternehmen und Marken, ohne die Spitzensport global längst nicht mehr möglich wäre, folgen schon einem Wertekompass. Da geht es in den meisten Fällen sehr wohl um Verantwortung für den Sport, nicht nur aus Selbstschutz und wirtschaftlichem Interesse. Denen geht es auch um Botschaften und Werte, die letztlich die Firmenkultur abbilden. Die wirken auch ins Innere der Unternehmen.
Mutet eine WM nicht zunehmend an wie eine riesige Marketing-Plattform?
Petry: Das finde ich übertrieben. Eine WM ist nach wie vor ein Fest primär für die Fans, nicht zu allererst für Firmen und ihre Kunden. Das größte und längste Sportereignis der Welt, das alle in ihren Bann zieht. Solch eine Sogwirkung, solch eine verbindende Kraft könnte eine WM ohne Emotionen und Leidenschaft niemals haben.
Trautwein: Diese Diskussion, auf die Sie sich beziehen, ist eine typisch und primär deutsche.. Es gibt natürlich kritisch zu hinterfragende Tendenzen und Entwicklungen, aber hierzulande werden die Dinge – auch medial – gerne zu eindimensional betrachtet. Ich wünschte mir, es würde mehr differenziert. Auch wenn das aktuell nicht besonders populär ist.
Aber der Fußball ist längst Milliarden-Geschäft fernab seiner Basis. Die nächste WM ist in Katar. Und irgendwann wird China Ausrichter sein, weil chinesische Unternehmen ebenfalls mit hohen Investitionen in den Markt drängen. Geht die Fankultur bei all dieser Kommerzialisierung nicht verloren? Bleibt die Tradition nicht auf der Strecke?
Trautwein: Genau das meine ich: Hierzulande lösen solche Perspektiven sofort Argwohn aus. Ich empfehle aber, die deutsche Brille mal kurz abzunehmen und durch die der FIFA zu blicken. Denn: Die Kommerzialisierungsdebatte existiert in dieser Vehemenz und Form nur in den Märkten, die eine lange Historie haben und in denen der Fußball konkurrenzlos Sportart Nummer eins ist – sogenannte Mature Football Markets. Klassische Fußballmärkte wie Deutschland und England. Selbstverständlich sind das sehr wichtige Fußball-Nationen mit riesigen Fan-Potenzialen. Und großer Fankultur. Da wird die Entwicklung ganz anders wahrgenommen als in vielen anderen Teilen der Welt. Und seitens der FIFA. Dort gibt es diese Thematik gar nicht, zumindest ist sie nicht derart problembehaftet wie insbesondere hier. Denn: Dass Deutschland und England für die FIFA entscheidende Märkte sind auf der Suche nach Wachstumschancen für ihre Produkte, darf hinterfragt werden.
Petry: Wir werden die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Dennoch: Vorbehalte wie sie klassische Fußballnationen vorbringen, gibt es in Asien, Afrika, Nordamerika oder in der arabische Welt tatsächlich nicht ...
Trautwein: ... deswegen wird die FIFA sie in Europa und Südamerika – wo nötig – auch dezent abmoderieren. Für sie und ihre globalen Partner ist das auch gar nicht so eine große Herausforderung. Im Gegenteil: Für sie geht die Reise in eine andere Richtung, denn das Business-Potential in den WM-Märkten der Zukunft, allen voran in China, ist gigantisch und noch lange nicht ausgeschöpft. China ist heißer Kandidat auf die WM 2030. Darauf wird die FIFA entsprechend den Fokus richten. Allein eine chinesische WM-Teilnahme hätte nach jüngsten Erhebungen immense globale Folgen. Unter anderem: Weltweit drei Prozent mehr TV-Zuschauer. Aus sportlicher Sicht glauben die Chinesen zwar nicht so sehr an die Entwicklung ihres Nationalteams. Doch der Trend zeichnet sich ganz klar ab. China ist für die FIFA bereits heute ein ganz wichtiger Player. Und selbst, wenn es wie Zukunftsmusik klingt und auch noch ist: Der nächste spannende Markt könnte Indien sein. Auch wenn WM-Turniere in diesen Ländern organisatorisch riesige Herausforderungen wären.
Neben der Standortfrage nervt aber viele Fans auch, dass solche Turniere immer größer und immer länger werden, siehe die letzte EM – worunter die sportliche Wertigkeit leidet. Und wenn bei einer WM künftig 48 statt 32 Teams dabei sind, kann das dem Niveau nicht zuträglich sein.
Trautwein: Eine Diskussion, die ich aus sportlicher Sicht absolut nachvollziehen kann, aber das bewertet die FIFA mit Sicherheit weniger kritisch. Die Ausweitung wäre aus ihrer Warte sogar logisch: Wenn das Turnier größer wird, steigen auch die Möglichkeiten der Vermarktung, selbst wenn dies sportlich fragwürdig ist. Aber die FIFA hat längst verstanden, dass sie eine WM entsprechend promoten muss: Als globale Party. Und wenn diese länger dauert und mehr Gäste daran teilnehmen, profitieren viele davon. Der FIFA winken dadurch erhebliche Mehreinnahmen. Aus ihrer Sicht ist das legitim. Die beiden weltweit besten Teams stehen sich ohnehin im Finale der Champions League gegenüber. Nicht im WM-Finale. Doch darum geht es auch gar nicht. Die WM ist ein großes interkulturelles Fest, bei dem sich viele Nationen treffen. Das ist der wahre Anspruch der FIFA an dieses Spektakel. Und sie hat auch verstanden, das entsprechend zu kommunizieren.
Petry: Natürlich muss es Bedingung sein, dass politische und soziale Rahmenbedingungen in den Austragungs- und Teilnehmerländern stimmen, hier hat die FIFA bei ihren Auswahl- und Entscheidungskriterien definitiv noch Nachholbedarf. Wenn dies aber gegeben ist, sehe ich keinen Grund, warum die Mature Football Markets sich über andere Verbände erheben und für sich das Recht beanspruchen, über Anzahl der Teilnehmer, geeignete Teilnehmer und Ausrichter zu urteilen. Eine WM ist wie gesagt ein großes interkulturelles Spektakel, das nach und nach allen Teilen der Welt zugänglich gemacht werden sollte.
Sie fordern, die Diskussionen rund um das Thema Kommerzialisierung viel differenzierter zu führen.
Petry: Richtig. Zwischen der globalen Entwicklung und dem, was hierzulande geschieht, gibt es ja durchaus Unterschiede.
Trautwein: Die DFL und ihre Sponsoren müssen sich schon des schmalen Grats zwischen der ursprünglichen Identität und der Kommerzialisierung des Fußballs bewusst sein. Ebenso die Premier League. Der Schulterschluss mit den Fans dort ist natürlich extrem wichtig, zumal die negative Stimmung in den Medien schon stark vernehmbar ist.
Petry: Die Entscheider im und rund um den deutschen Fußball – DFL, DFB, Vereine, Sponsoren, Vermarkter – sollten sensibel genug dafür sein, die Meinung der Fans zu hören und ernst zu nehmen. Unbedingt sogar. Also, deutsche Brille wieder auf: Die Sinnhaftigkeit des Montagsspiels zum Beispiel muss angesichts des eindeutigen Medien-Echos und der Stimmung an der Basis überdacht werden. Dieser Diskussion müssen sich die Verantwortlichen stellen. Denn hierbei ging es wirklich nur um eine Steigerung der TV-Einnahmen und die Bedürfnisse der Fans und Stadionbesucher wurden völlig außer acht gelassen.
Viele Traditionalisten und Romantiker wehren sich auch gegen die gebrandeten Stadien. Einige Medien weigern sich bis heute, die Firmennamen zu nennen. Verstehen Sie das?
Petry: Teilweise schon. Und zwar dann, wenn eine Arena permanent umbenannt wird und einen neuen Namenssponsor bekommt. Da geht der Bezug zur Region, zum Verein und seinem Umfeld, zu seiner Tradition verloren. Wenn die Heimat eines Klubs, sein Stadion, zum reinen Marketing-Tool verkommt – damit tue ich mich sehr schwer. Aber wenn große Unternehmen über viele, viele Jahre mit ihrem Partnerverein einen gemeinsamen Weg gehen, wenn eine langfristige Refinanzierung Teil des Konzepts ist und ihre Firmenzentrale obendrein am Standort ist – siehe die Allianz Arena München oder die Commerzbank Arena Frankfurt –, dann sollten schon andere Maßstäbe angelegt werden.
Wann ist für Sie in Sachen Kommerzialisierung eine rote Linie überschritten?
Petry: Wenn Sport sich zu sehr verbiegen lässt, wenn seine ursprüngliche Identität auf der Strecke bleibt, hört es für mich auf. Würden Fußballspiele beispielsweise in drei Drittel unterteilt, damit man in den Drittelpausen mehr Werbung schalten kann, wäre das fatal – das gehört nicht zur DNA des Fußballs.
Trautwein: Zwar müssen alle Beteiligten den Anforderungen und Erwartungen an das Produkt Fußball Tribut zollen, doch auch der Fan, der Konsument entwickelt höhere Ansprüche an die Basisleistung im Fußball, im Stadion – ebenso wie an den Lebensstandard im Alltag. Dies gilt nicht für alle Fans, aber für die breite Masse. Traditionalisten und Romantiker müssen sich klarmachen, dass ein bestimmtes Maß an Komfort und Entertainment, woran auch sie sich vor Ort längst gewöhnt haben, nicht mehr gewährleistet wäre. Das, was viele Fans konstatieren und das, was sie insgeheim erwarten, stimmt nämlich nicht immer überein. Es gibt mitunter eine Diskrepanz zwischen dem, was sie sagen und fühlen.
Was man jedenfalls oft hört, ist die Frage, wer sich das Live-Erlebnis Bundesliga überhaupt noch leisten soll und kann. Der Besuch eines Bundesligaspiels mit der ganzen Familie, die Tickets, das Bier, die Wurst, das Eis ... – da ist man schnell über 100 Euro los. Vor 20, 30 Jahren war das alles noch erschwinglich.
Trautwein: Die Argumentation ist hinlänglich bekannt, ja. Aber: Vor 20, 30 Jahren ging man ja auch noch nicht mit der ganzen Familie ins Stadion. Wir reden heutzutage über ein ganz anderes, neues Produkt. Das Stadion-Erlebnis und die Ansprüche daran haben sich geändert. Darum kann das Produkt auch gar nicht mehr so günstig sein wie früher. Mit Blick auf den Ligabetrieb ist die Kostenentwicklung aber natürlich grenzwertig. Als Fan einer Vereinsmannschaft mit 17 Heimspielen schlägt die finanzielle Belastung – je nach Kategorie – ziemlich ins Kontor. Darüber muss sich die DFL sicher Gedanken machen, mit den Vereinen und den Fans kommunizieren und deren Befindlichkeiten ernstnehmen.
Ein WM-Ticket kostet noch viel mehr...
Trautwein: Aber ein WM-Spiel ist nicht Teil eines Massenbetriebs. Klar: Das Live-Erlebnis WM ist teuer. Rund 100 Euro kostete ein günstiger Platz in der Vorrunde. Aber es ist etwas anderes, ein WM-Spiel zu sehen als ein Ligaspiel. Das kann man nicht vergleichen. Wenn ich als Fan WM-Karten bekommen kann, kaufe ich mir auch Karten für Togo gegen Frankreich ohne eine Verbindung zu einem der beiden Teams zu haben, denn dann bin ich dabei. Eine WM steigt nur alle vier Jahre und ist somit ein exklusiveres Gut. Das muss man auch in einem kulturellen Kontext betrachten. In Russland hatte die FIFA erneut eine etwas preiswertere Ticket-Kategorie angeboten, die nur für Einheimische zugängig war. Auch das brachte Kritik, die Idee aber war und ist aus meiner Sicht richtig.
Petry: WM-Spiele können eine Art Once-in-your-Lifetime-Erfahrung sein. Vergleichbar mit einem Konzert der, sagen wir, Rolling Stones. Da sind Fans auch bereit, viel Geld für Karten zu bezahlen. Die Unterhaltungsbranche unterliegt nun mal einer fortwährenden Inflation.
Kommen wir in Zeiten der 50+1-Debatte zu einem weiteren Thema mit Spaltungskraft: Hier die sogenannten Traditionsvereine, dort die neureichen Retortenklubs. Sind RB Leipzig, die TSG Hoffenheim, der VfL Wolfsburg und gar Bayer Leverkusen nur Marketing-Konstrukte, die dem Fußball schaden?
Petry: Diese Diskussion droht auch, ins Triviale oder gar Populistische abzudriften. Man muss sich doch nur mal ansehen, wohin die sogenannten Traditionsvereine steuern ohne Unternehmen wie Bayer, Red Bull, VW, ohne unternehmerische Führung, Unternehmenskultur, stringente Konzepte und Marketing-Know-How. Ohne Leute wie Dietmar Hopp, der das gesamte Sinsheimer und Mannheimer Umfeld, die ganze Region vitalisiert, Arbeitsplätze schafft und im großen Stile den Nachwuchs fördert. Wo stehen denn die Traditionsvereine-Vereine, die jahrelang von Sonnenkönigen an der Spitze geführt wurden? Was geschieht bzw. geschah bei 1860 München, beim 1. FC Nürnberg, beim 1. FC Kaiserlautern? Tradition und frühe Gründungsjahre sind alleine keine Leistung und vor allem kein tragfähiges Modell zur Zukunftssicherung.
Und was passiert in Leipzig? Wird da nicht nur eine ‚Dose vermarktet’?
Trautwein: Fragen Sie doch mal die Fußballfans in Leipzig. Die freuen sich über ein tolles Stadion, tollen Fußball, Arbeitsplätze, sportliche Relevanz und vieles mehr. Man mag das Leipziger Modell ein Konstrukt nennen, meinetwegen ein Projekt. Aber es ist ein umsichtiges, sehr gutes Projekt mit einer funktionierenden Strategie dahinter. Wenn ein gutes, nachhaltiges Konzept aufgelegt und die Identität des Vereins respektiert wird, wenn eine authentische Geschichte erzählt wird, finde ich es legitim, wenn eine Symbiose zwischen einem Klub und einer Marke entstehen. Mit einer eigenen, neuen Vereinskultur. Fundierte Kritik darf schon sein. Aber: Ich finde es respektlos, wenn RB Leipzig derart unreflektiert abgekanzelt wird. Wohin das bisweilen auf den Rängen führt, nämlich zur Verrohung der Sitten und des Tons, sogar zu Übergriffen, haben wir ja leider schon erlebt.
Petry: Glauben Sie, Offenbach, Aachen, Magdeburg oder Preußen Münster – um nur Beispiele zu nennen – wären nicht dankbar, wenn Red Bull zu ihnen käme mit einem Konzept und einem Input, wie sie es in Salzburg und vor allem Leipzig an den Tag legen? Wer das kategorisch verneint, macht sich aus meiner Sicht der Bigotterie verdächtig. Zumal die Fußballfans sich noch etwas vor Augen führen sollten ...
Nämlich?
Petry: Den Umstand, wo jene Talente entwickelt werden, die dann bei Joachim Löw das Nationaltrikot anziehen und bejubelt werden. Wo kommen denn mittlerweile sehr viele unserer Jugend-Nationalspieler her? Aus den Nachwuchszentren in Hoffenheim, Leipzig, Wolfsburgund Leverkusen mit ihrer Infrastruktur und dem wirtschaftlichen Background – oder aus Saarbrücken, Braunschweig von Rot-Weiß Essen und 1860 München? Letzten Endes ist es doch so: Die gesunde Mischung macht’s. Kommerzialisierung und Fortschritt bedeuten doch nicht zwangsläufig die rücksichtslose Abkehr von Werten und Traditionen. Sehen Sie sich an, wie der FC St. Pauli das macht: Der ist mittlerweile nahezu perfekt vermarktet und durchgestylt. Aber er erzählt immer noch eine gute Geschichte, hat das alles mit seinem Image vom ‚etwas anderen Profiklub’, mit seiner Botschaft und seiner Vereinskultur synchronisiert – das passt.
Petry: Wie bitte sollen wir das denn verstehen?
In Deutschland ist die Diskussion allgegenwärtig, ob der Sport sich nicht längst verkauft und seine Identität aufgegeben hat. Und Sie zählen zu den Protagonisten des Sportbusiness.
Petry: Und nun wollen Sie darauf hinaus, dass Sport nur noch Sport-Business ist? Nein, das ist es nicht! Der Sport hat sehr wohl noch ein Herz und eine Seele. Sport-Business selbst muss ebenfalls Herz und Seele haben. Sportliche Ziele stehen heutzutage sicher in einem Bezug zu kommerziellen Zielen, aber dass sie sich diesen unterwerfen müssen – das geht nicht. Dann würden die Methoden, sportlichen Erfolg zu erlangen, zwangsläufig unlauter. Stichwort Doping. Stichwort Manipulation ... So negativ sehe ich die Sportwelt aber nicht. Klar: Es geht im Spitzensport schon lange nicht mehr nur um Ruhm und Ehre, aber die Sponsoren, die Unternehmen und Marken, ohne die Spitzensport global längst nicht mehr möglich wäre, folgen schon einem Wertekompass. Da geht es in den meisten Fällen sehr wohl um Verantwortung für den Sport, nicht nur aus Selbstschutz und wirtschaftlichem Interesse. Denen geht es auch um Botschaften und Werte, die letztlich die Firmenkultur abbilden. Die wirken auch ins Innere der Unternehmen.
Mutet eine WM nicht zunehmend an wie eine riesige Marketing-Plattform?
Petry: Das finde ich übertrieben. Eine WM ist nach wie vor ein Fest primär für die Fans, nicht zu allererst für Firmen und ihre Kunden. Das größte und längste Sportereignis der Welt, das alle in ihren Bann zieht. Solch eine Sogwirkung, solch eine verbindende Kraft könnte eine WM ohne Emotionen und Leidenschaft niemals haben.
Trautwein: Diese Diskussion, auf die Sie sich beziehen, ist eine typisch und primär deutsche.. Es gibt natürlich kritisch zu hinterfragende Tendenzen und Entwicklungen, aber hierzulande werden die Dinge – auch medial – gerne zu eindimensional betrachtet. Ich wünschte mir, es würde mehr differenziert. Auch wenn das aktuell nicht besonders populär ist.
Karsten Petry (li.) und Dennis Trautwein, Managing Director und Vice President von Octagon Germany
Aber der Fußball ist längst Milliarden-Geschäft fernab seiner Basis. Die nächste WM ist in Katar. Und irgendwann wird China Ausrichter sein, weil chinesische Unternehmen ebenfalls mit hohen Investitionen in den Markt drängen. Geht die Fankultur bei all dieser Kommerzialisierung nicht verloren? Bleibt die Tradition nicht auf der Strecke?
Trautwein: Genau das meine ich: Hierzulande lösen solche Perspektiven sofort Argwohn aus. Ich empfehle aber, die deutsche Brille mal kurz abzunehmen und durch die der FIFA zu blicken. Denn: Die Kommerzialisierungsdebatte existiert in dieser Vehemenz und Form nur in den Märkten, die eine lange Historie haben und in denen der Fußball konkurrenzlos Sportart Nummer eins ist – sogenannte Mature Football Markets. Klassische Fußballmärkte wie Deutschland und England. Selbstverständlich sind das sehr wichtige Fußball-Nationen mit riesigen Fan-Potenzialen. Und großer Fankultur. Da wird die Entwicklung ganz anders wahrgenommen als in vielen anderen Teilen der Welt. Und seitens der FIFA. Dort gibt es diese Thematik gar nicht, zumindest ist sie nicht derart problembehaftet wie insbesondere hier. Denn: Dass Deutschland und England für die FIFA entscheidende Märkte sind auf der Suche nach Wachstumschancen für ihre Produkte, darf hinterfragt werden.
Petry: Wir werden die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Dennoch: Vorbehalte wie sie klassische Fußballnationen vorbringen, gibt es in Asien, Afrika, Nordamerika oder in der arabische Welt tatsächlich nicht ...
Trautwein: ... deswegen wird die FIFA sie in Europa und Südamerika – wo nötig – auch dezent abmoderieren. Für sie und ihre globalen Partner ist das auch gar nicht so eine große Herausforderung. Im Gegenteil: Für sie geht die Reise in eine andere Richtung, denn das Business-Potential in den WM-Märkten der Zukunft, allen voran in China, ist gigantisch und noch lange nicht ausgeschöpft. China ist heißer Kandidat auf die WM 2030. Darauf wird die FIFA entsprechend den Fokus richten. Allein eine chinesische WM-Teilnahme hätte nach jüngsten Erhebungen immense globale Folgen. Unter anderem: Weltweit drei Prozent mehr TV-Zuschauer. Aus sportlicher Sicht glauben die Chinesen zwar nicht so sehr an die Entwicklung ihres Nationalteams. Doch der Trend zeichnet sich ganz klar ab. China ist für die FIFA bereits heute ein ganz wichtiger Player. Und selbst, wenn es wie Zukunftsmusik klingt und auch noch ist: Der nächste spannende Markt könnte Indien sein. Auch wenn WM-Turniere in diesen Ländern organisatorisch riesige Herausforderungen wären.
Neben der Standortfrage nervt aber viele Fans auch, dass solche Turniere immer größer und immer länger werden, siehe die letzte EM – worunter die sportliche Wertigkeit leidet. Und wenn bei einer WM künftig 48 statt 32 Teams dabei sind, kann das dem Niveau nicht zuträglich sein.
Trautwein: Eine Diskussion, die ich aus sportlicher Sicht absolut nachvollziehen kann, aber das bewertet die FIFA mit Sicherheit weniger kritisch. Die Ausweitung wäre aus ihrer Warte sogar logisch: Wenn das Turnier größer wird, steigen auch die Möglichkeiten der Vermarktung, selbst wenn dies sportlich fragwürdig ist. Aber die FIFA hat längst verstanden, dass sie eine WM entsprechend promoten muss: Als globale Party. Und wenn diese länger dauert und mehr Gäste daran teilnehmen, profitieren viele davon. Der FIFA winken dadurch erhebliche Mehreinnahmen. Aus ihrer Sicht ist das legitim. Die beiden weltweit besten Teams stehen sich ohnehin im Finale der Champions League gegenüber. Nicht im WM-Finale. Doch darum geht es auch gar nicht. Die WM ist ein großes interkulturelles Fest, bei dem sich viele Nationen treffen. Das ist der wahre Anspruch der FIFA an dieses Spektakel. Und sie hat auch verstanden, das entsprechend zu kommunizieren.
Petry: Natürlich muss es Bedingung sein, dass politische und soziale Rahmenbedingungen in den Austragungs- und Teilnehmerländern stimmen, hier hat die FIFA bei ihren Auswahl- und Entscheidungskriterien definitiv noch Nachholbedarf. Wenn dies aber gegeben ist, sehe ich keinen Grund, warum die Mature Football Markets sich über andere Verbände erheben und für sich das Recht beanspruchen, über Anzahl der Teilnehmer, geeignete Teilnehmer und Ausrichter zu urteilen. Eine WM ist wie gesagt ein großes interkulturelles Spektakel, das nach und nach allen Teilen der Welt zugänglich gemacht werden sollte.
Sie fordern, die Diskussionen rund um das Thema Kommerzialisierung viel differenzierter zu führen.
Petry: Richtig. Zwischen der globalen Entwicklung und dem, was hierzulande geschieht, gibt es ja durchaus Unterschiede.
Trautwein: Die DFL und ihre Sponsoren müssen sich schon des schmalen Grats zwischen der ursprünglichen Identität und der Kommerzialisierung des Fußballs bewusst sein. Ebenso die Premier League. Der Schulterschluss mit den Fans dort ist natürlich extrem wichtig, zumal die negative Stimmung in den Medien schon stark vernehmbar ist.
Petry: Die Entscheider im und rund um den deutschen Fußball – DFL, DFB, Vereine, Sponsoren, Vermarkter – sollten sensibel genug dafür sein, die Meinung der Fans zu hören und ernst zu nehmen. Unbedingt sogar. Also, deutsche Brille wieder auf: Die Sinnhaftigkeit des Montagsspiels zum Beispiel muss angesichts des eindeutigen Medien-Echos und der Stimmung an der Basis überdacht werden. Dieser Diskussion müssen sich die Verantwortlichen stellen. Denn hierbei ging es wirklich nur um eine Steigerung der TV-Einnahmen und die Bedürfnisse der Fans und Stadionbesucher wurden völlig außer acht gelassen.
Viele Traditionalisten und Romantiker wehren sich auch gegen die gebrandeten Stadien. Einige Medien weigern sich bis heute, die Firmennamen zu nennen. Verstehen Sie das?
Petry: Teilweise schon. Und zwar dann, wenn eine Arena permanent umbenannt wird und einen neuen Namenssponsor bekommt. Da geht der Bezug zur Region, zum Verein und seinem Umfeld, zu seiner Tradition verloren. Wenn die Heimat eines Klubs, sein Stadion, zum reinen Marketing-Tool verkommt – damit tue ich mich sehr schwer. Aber wenn große Unternehmen über viele, viele Jahre mit ihrem Partnerverein einen gemeinsamen Weg gehen, wenn eine langfristige Refinanzierung Teil des Konzepts ist und ihre Firmenzentrale obendrein am Standort ist – siehe die Allianz Arena München oder die Commerzbank Arena Frankfurt –, dann sollten schon andere Maßstäbe angelegt werden.
Wann ist für Sie in Sachen Kommerzialisierung eine rote Linie überschritten?
Petry: Wenn Sport sich zu sehr verbiegen lässt, wenn seine ursprüngliche Identität auf der Strecke bleibt, hört es für mich auf. Würden Fußballspiele beispielsweise in drei Drittel unterteilt, damit man in den Drittelpausen mehr Werbung schalten kann, wäre das fatal – das gehört nicht zur DNA des Fußballs.
Trautwein: Zwar müssen alle Beteiligten den Anforderungen und Erwartungen an das Produkt Fußball Tribut zollen, doch auch der Fan, der Konsument entwickelt höhere Ansprüche an die Basisleistung im Fußball, im Stadion – ebenso wie an den Lebensstandard im Alltag. Dies gilt nicht für alle Fans, aber für die breite Masse. Traditionalisten und Romantiker müssen sich klarmachen, dass ein bestimmtes Maß an Komfort und Entertainment, woran auch sie sich vor Ort längst gewöhnt haben, nicht mehr gewährleistet wäre. Das, was viele Fans konstatieren und das, was sie insgeheim erwarten, stimmt nämlich nicht immer überein. Es gibt mitunter eine Diskrepanz zwischen dem, was sie sagen und fühlen.
Was man jedenfalls oft hört, ist die Frage, wer sich das Live-Erlebnis Bundesliga überhaupt noch leisten soll und kann. Der Besuch eines Bundesligaspiels mit der ganzen Familie, die Tickets, das Bier, die Wurst, das Eis ... – da ist man schnell über 100 Euro los. Vor 20, 30 Jahren war das alles noch erschwinglich.
Trautwein: Die Argumentation ist hinlänglich bekannt, ja. Aber: Vor 20, 30 Jahren ging man ja auch noch nicht mit der ganzen Familie ins Stadion. Wir reden heutzutage über ein ganz anderes, neues Produkt. Das Stadion-Erlebnis und die Ansprüche daran haben sich geändert. Darum kann das Produkt auch gar nicht mehr so günstig sein wie früher. Mit Blick auf den Ligabetrieb ist die Kostenentwicklung aber natürlich grenzwertig. Als Fan einer Vereinsmannschaft mit 17 Heimspielen schlägt die finanzielle Belastung – je nach Kategorie – ziemlich ins Kontor. Darüber muss sich die DFL sicher Gedanken machen, mit den Vereinen und den Fans kommunizieren und deren Befindlichkeiten ernstnehmen.
Ein WM-Ticket kostet noch viel mehr...
Trautwein: Aber ein WM-Spiel ist nicht Teil eines Massenbetriebs. Klar: Das Live-Erlebnis WM ist teuer. Rund 100 Euro kostete ein günstiger Platz in der Vorrunde. Aber es ist etwas anderes, ein WM-Spiel zu sehen als ein Ligaspiel. Das kann man nicht vergleichen. Wenn ich als Fan WM-Karten bekommen kann, kaufe ich mir auch Karten für Togo gegen Frankreich ohne eine Verbindung zu einem der beiden Teams zu haben, denn dann bin ich dabei. Eine WM steigt nur alle vier Jahre und ist somit ein exklusiveres Gut. Das muss man auch in einem kulturellen Kontext betrachten. In Russland hatte die FIFA erneut eine etwas preiswertere Ticket-Kategorie angeboten, die nur für Einheimische zugängig war. Auch das brachte Kritik, die Idee aber war und ist aus meiner Sicht richtig.
Petry: WM-Spiele können eine Art Once-in-your-Lifetime-Erfahrung sein. Vergleichbar mit einem Konzert der, sagen wir, Rolling Stones. Da sind Fans auch bereit, viel Geld für Karten zu bezahlen. Die Unterhaltungsbranche unterliegt nun mal einer fortwährenden Inflation.
Kommen wir in Zeiten der 50+1-Debatte zu einem weiteren Thema mit Spaltungskraft: Hier die sogenannten Traditionsvereine, dort die neureichen Retortenklubs. Sind RB Leipzig, die TSG Hoffenheim, der VfL Wolfsburg und gar Bayer Leverkusen nur Marketing-Konstrukte, die dem Fußball schaden?
Petry: Diese Diskussion droht auch, ins Triviale oder gar Populistische abzudriften. Man muss sich doch nur mal ansehen, wohin die sogenannten Traditionsvereine steuern ohne Unternehmen wie Bayer, Red Bull, VW, ohne unternehmerische Führung, Unternehmenskultur, stringente Konzepte und Marketing-Know-How. Ohne Leute wie Dietmar Hopp, der das gesamte Sinsheimer und Mannheimer Umfeld, die ganze Region vitalisiert, Arbeitsplätze schafft und im großen Stile den Nachwuchs fördert. Wo stehen denn die Traditionsvereine-Vereine, die jahrelang von Sonnenkönigen an der Spitze geführt wurden? Was geschieht bzw. geschah bei 1860 München, beim 1. FC Nürnberg, beim 1. FC Kaiserlautern? Tradition und frühe Gründungsjahre sind alleine keine Leistung und vor allem kein tragfähiges Modell zur Zukunftssicherung.
Und was passiert in Leipzig? Wird da nicht nur eine ‚Dose vermarktet’?
Trautwein: Fragen Sie doch mal die Fußballfans in Leipzig. Die freuen sich über ein tolles Stadion, tollen Fußball, Arbeitsplätze, sportliche Relevanz und vieles mehr. Man mag das Leipziger Modell ein Konstrukt nennen, meinetwegen ein Projekt. Aber es ist ein umsichtiges, sehr gutes Projekt mit einer funktionierenden Strategie dahinter. Wenn ein gutes, nachhaltiges Konzept aufgelegt und die Identität des Vereins respektiert wird, wenn eine authentische Geschichte erzählt wird, finde ich es legitim, wenn eine Symbiose zwischen einem Klub und einer Marke entstehen. Mit einer eigenen, neuen Vereinskultur. Fundierte Kritik darf schon sein. Aber: Ich finde es respektlos, wenn RB Leipzig derart unreflektiert abgekanzelt wird. Wohin das bisweilen auf den Rängen führt, nämlich zur Verrohung der Sitten und des Tons, sogar zu Übergriffen, haben wir ja leider schon erlebt.
Petry: Glauben Sie, Offenbach, Aachen, Magdeburg oder Preußen Münster – um nur Beispiele zu nennen – wären nicht dankbar, wenn Red Bull zu ihnen käme mit einem Konzept und einem Input, wie sie es in Salzburg und vor allem Leipzig an den Tag legen? Wer das kategorisch verneint, macht sich aus meiner Sicht der Bigotterie verdächtig. Zumal die Fußballfans sich noch etwas vor Augen führen sollten ...
Nämlich?
Petry: Den Umstand, wo jene Talente entwickelt werden, die dann bei Joachim Löw das Nationaltrikot anziehen und bejubelt werden. Wo kommen denn mittlerweile sehr viele unserer Jugend-Nationalspieler her? Aus den Nachwuchszentren in Hoffenheim, Leipzig, Wolfsburgund Leverkusen mit ihrer Infrastruktur und dem wirtschaftlichen Background – oder aus Saarbrücken, Braunschweig von Rot-Weiß Essen und 1860 München? Letzten Endes ist es doch so: Die gesunde Mischung macht’s. Kommerzialisierung und Fortschritt bedeuten doch nicht zwangsläufig die rücksichtslose Abkehr von Werten und Traditionen. Sehen Sie sich an, wie der FC St. Pauli das macht: Der ist mittlerweile nahezu perfekt vermarktet und durchgestylt. Aber er erzählt immer noch eine gute Geschichte, hat das alles mit seinem Image vom ‚etwas anderen Profiklub’, mit seiner Botschaft und seiner Vereinskultur synchronisiert – das passt.