Autark unterwegs – Interview mit Stefan Glowacz Stefan Glowacz/Klaus Fengler

Autark unterwegs – Interview mit Stefan Glowacz

Stefan Glowacz – einst Pionier der Sportkletterei in Deutschland – ist rund um den Globus unterwegs, immer auf der Suche nach der perfekten Wand. In diesem Jahr zieht es den 50-Jährigen nach Baffin Island. Erneut.
netzathleten.de: Stefan, zwei Mal warst du bereits in Baffin Island unterwegs, nun zieht es dich wieder dorthin. Was hast du geplant?
Stefan Glowacz: Es ist inzwischen bekannt, dass auf Baffin Island die meisten Big Walls auf relativ kleinem Raum stehen. Und sie sind extrem schwierig zu erreichen. Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder bist du früh im Jahr unterwegs, das Meer ist zugefroren und du bewegst dich auf dem Eis fort. Du lässt dich dann mit der Hilfe der Inuit mit Schneemobilen ins Innere von Baffin Island bringen. Der Nachteil: Es ist extrem kalt. Die Temperaturen gehen da locker runter auf minus 30 Grad.
Oder man wartet, bis das Meer aufgebrochen ist und fährt mit dem Schiff. Aber dann ist man natürlich auch auf ein Schiff angewiesen. Das heißt aber auch, man braucht immer Fremdhilfe. Wir wollen aber vollkommen autark unterwegs sein.

netzathleten.de: Und wie genau gelingt das?
Stefan Glowacz: Zunächst einmal geht es um die Vorbereitung. Wir mussten uns auf jeden Fall Know-How aneignen, um die Lösung zu finden. Daher haben wir schon einmal zwei Expeditionen auf Baffin Island gemacht – einmal im Sommer und einmal im Winter. Und ich weiß jetzt, was es braucht, um vom letzten Zivilisationspunkt aus eigener Kraft an die Wand und wieder zurück zu kommen, ohne zu sehr von offenem Wasser oder Eisaufbrüchen behindert zu werden. Dafür haben wir über das letzte Jahr hinweg einen Multifunktions-Carbonschlitten entwickelt, der im Grunde alles kann. Man kann ihn ganz normal als Schlitten nutzen und wunderbar ziehen. Man kann aber auch Räder montieren und ihn als Rikscha verwenden, wenn man mal über Land gehen muss. Wenn man das Gepäck entsprechend packt, hat man dabei praktisch keinen Druck auf den Händen und auch der Rollwiderstand ist sehr gering. Also auch das geht ganz geschmeidig. Wir sind insgesamt zu dritt unterwegs und haben drei Schlitten dabei. Diese Schlitten kann man alle zu einem Raft zusammenstecken und mit Schwimmkörpern versehen. So haben wir ein Auftriebsvolumen von über 1,5 Tonnen. Damit können wir auch Fjorde überqueren – und wir reden hier von einer offenen Strecke von drei bis fünf Kilometern. Zu guter Letzt fungiert der Schlitten auch noch als Portaledge, ist also kombiniert mit einem speziellen Wandzelt auch noch unser Bett in der Wand.

netzathleten.de: Und wie sieht euer konkretes Ziel aus? Gibt es eine bestimmte Wand oder geht es darum, möglichst viele zu klettern?
Stefan Glowacz: Weder noch. Wir richten unseren Fokus nicht auf eine Wand, sondern sind auf ein Gebiet konzentriert. Dort suchen wir uns dann das beste Ziel entsprechend aus. Wir wissen ja nicht, was uns beim Anmarsch und auch beim Abmarsch erwartet. Wenn man sich zu sehr auf ein konkretes Ziel festlegt und es läuft etwas nicht nach Plan, kann das das Aus für die ganze Expedition bedeuten. Wichtig ist, flexibel zu bleiben und zu überlegen, was überhaupt reinpasst. Was können wir uns leisten? Ist es eine 1000 Meter oder eine 700 Meter hohe Wand? Das ist ein riesen Unterschied. Aber das Set-Up ist so, dass wir wirklich in einer 1000 Meter hohen Wand unterwegs sein und auch locker zehn Tage in ihr verbringen können.

netzathleten.de: Das heißt auch, die Unternehmung ist auf möglichst wenig Equipment ausgelegt?
Stefan Glowacz: Genau. Wir können gar nicht so viele Fixseile mitnehmen, dass wir sagen, wir steigen ein, klettern bis zur Hälfte hoch und fixieren alles mit Seilen. Sondern wir steigen unten ein und klettern hoch, bis wir oben angekommen sind. Wir bleiben die ganze Zeit in der Wand.

netzathleten.de: Und was macht das Klettern in dieser kalten Gegend so besonders? Ist es der Fels? Die Landschaft? Das Abenteuer?
Stefan Glowacz: Also der Fels ist nicht besonders gut. Aber es ist einfach eine enorme Ansammlung von riesigen Wänden, teilweise bis zu 1200 Metern hoch, die direkt aus dem Meer ragen. Teilweise haben die auch gar keinen markanten Gipfel, sondern enden einfach auf einem Plateau, sodass man vielleicht ganz bequem auf der anderen Seite hinuntersteigen könnte. Das macht dieses Gebiet einfach aus.

netzathleten.de: Du bist auf dieser Expedition mit Robert Jasper und Klaus Fengler unterwegs. Widrige Umstände, Enge, dennoch ein gemeinsames Ziel – wie gestaltet sich da die Gruppendynamik? Gibt es einen Anführer?
Stefan Glowacz: Das gute ist, dass wir uns schon ewig kennen. Mit Robert habe ich schon einige schwierige Expeditionen zusammen gemacht, unter anderem die Winterexpedition in Baffin. Damals haben wir uns überworfen, weil wir auf dem Rückmarsch Meinungsverschiedenheiten hatten. Dadurch haben wir uns das Leben selbst etwas schwer gemacht. Wir sind uns danach sogar mindestens fünf Jahr aus dem Weg gegangen. Aber irgendwann haben wir uns zusammengerauft und gesagt: Was soll der Quatsch eigentlich, wir sind doch ein super Team, wir sind ein Dreamteam. Wir haben den gleichen Fokus, wir brauchen nur das ideale Set-Up und eine kleine Gruppe. Dann funktioniert es. Robert ist in einer größeren Gruppe nicht teamfähig. Damals waren wir in einer größeren Gruppe unterwegs und das ist eine völlige Katastrophe gewesen. Aber zu zweit oder zu dritt: großartig. Und das war das Learning daraus. Und das Schöne dabei ist, dass wir gesagt haben: Alles, was war, war eine super Erfahrung für uns beide und jetzt begegnen wir uns auf einem anderen, respektvollen und sehr hohen Niveau. Und Klaus Fengler ist eh froh, wenn ihm die Entscheidungen abgenommen werden. Er ist zwar leistungsmäßig auch unglaublich stark, aber nicht so ein Alphatierchen, wie Robert oder ich. Insgesamt sind wir ein sehr homogenes Team.

netzathleten.de: So homogen, dass man auch den Duft der Partner in Kauf nimmt. Wie sieht es aus mit der Körperhygiene bei solch kalten Temperaturen und möglichst wenig Gepäck?
Stefan Glowacz: Zum Glück liegen die Temperaturen nur um die 10 Grad bis minus 20 Grad. Wasser ist genug vorhanden und von daher werden wir uns schon waschen können. Viel krasser war es bei unserer Winterexpedition. Da hatten wir gedacht, wir machen es wie immer und packen Feuchttücher ein. Aber als wir die aus dem Schlitten genommen haben, waren die hart wie Bretter. Die Packung war einfach wie ein Ziegelstein.

netzathleten.de: Nun gibt es neben der beschwerlichen Anreise, den Temperaturen und der menschenfeindlichen Witterung und Gegend noch eine Gefahrenquelle, die man nicht unterschätzen darf: Eisbären.
Stefan Glowacz: Eigentlich kann man sagen, alles ist beherrschbar. Wir kennen unseren Anmarsch, wir kennen unseren Abmarsch, kennen die offenen Wasserstellen. Die einzige Komponente, die unberechenbar ist, ist die Eisbärengefahr. Wir werden uns aber entsprechen präparieren, indem wir einen Eisbärenwarnzaun mitnehmen, den wir um unser Zelt spannen können. Und für den Notfall werden wir natürlich auch ein Gewehr dabei haben. Aber wir sind alle keine Jäger. Und bei unserer Sommerexpedition waren die Eisbären damals so hungrig, dass sie jegliche Scheu vorm Menschen verloren haben. Da waren die permanent präsent, die sind bis ans Zelt gekommen, wir mussten auch einen Warnschuss abgeben. Jede Nacht mussten wir draußen Wache halten, auch im strömenden Regen. Das war absolut zermürbend. Die einzig angenehme Zeit war in der Wand, weil es dir da egal ist, da kommt ja kein Eisbär hin.


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