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StoryThinking als Erfolgsmethode im Sport
- Redaktion
Eine gute Geschichte kann im Sport über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Wir sind motivierter und leistungsfähiger, wenn wir uns als Teil einer gemeinsamen Reise, einer gemeinsamen Geschichte empfinden. Aber sind solche Sommer- oder Wintermärchen im Sport planbar? Martin Beyer erklärt in seinem Buch „StoryThinking“ wie die Erzählforschung helfen kann, Einzelsportler und Mannschaften erfolgreicher zu machen.
Bundestrainer Joachim Löw sitzt zusammen mit dem Manager der deutschen Nationalmannschaft Oliver Bierhoff in einem Presseraum im Bauch der Münchner Allianzarena. Beinahe zwei Monate nach dem Ausscheiden der Mannschaft in der Vorrunde der Weltmeisterschaft präsentieren die beiden Hauptverantwortlichen den Pressevertretern ihre Analyse für das Scheitern in Russland. Der Bundestrainer, auffallend selbstkritisch, führt hauptsächlich zwei Argumentationslinien an: Einerseits habe er eine wesentliche Entwicklung im Weltfußball übersehen, indem er in fast schon arroganter Manier an der Idee des Ballbesitzfußballs festgehalten habe und diesen perfektionieren wollte. Andererseits sei es ihm nicht gelungen, bei seinem Team „Feuer und Leidenschaft“ zu entfachen wie bei den Turnieren zuvor. Die Sache mit dem Ballbesitzfußball kann er statistisch belegen, es werden mehrere Grafiken auf die Leinwand projiziert, die im Vergleich zu den Weltmeisterschaften 2010 und 2014 zeigen, dass das Spiel der Deutschen diesmal weniger intensiv und durchschlagskräftig war als zuvor. Das Feuer und die Leidenschaft hingegen lassen sich nur schwer messen, daher werden hier keine Folien präsentiert. Oliver Bierhoff konstatiert allerdings, dass man wie selbstverständlich davon ausgegangen sei, dass die Werte der Nationalmannschaft bereits „gelebt“ werden, er möchte hier wieder stärker eine klare Richtung vorgeben und Dinge einfordern – aber auch gemeinsam mit den Spielern „ein Bild entwerfen“. Denn sogar die Fans haben sich augenscheinlich von der Mannschaft entfremdet, der Zusammenhalt bröckelt.
Hat man die Analyse der sportlichen Leistungen anhand des vorhandenen Datenmaterials klar vor Augen, wirkt die Analyse der „weichen“ Faktoren wie Motivation, Identifikation, Zusammenhalt fast schon nebulös: Es wird von Feuer gesprochen, von brennenden Lunten, in Zukunft sollen Bilder entworfen werden und es wird etwas eingefordert. Aber was genau? Die im Vorfeld postulierten Slogans „Zusammen.“ „Geschichte schreiben“ oder „#wirfuer5“ haben offenkundig nicht für das nötige Feuer gesorgt – es ist genau der von Bierhoff erwähnte Unterschied, ob man eine Emotion behauptet oder einfordert, oder ob sie gelebt wird und einem „gemeinsamen Bild“ entspricht. Der Behauptungsmodus jedenfalls funktioniert nicht mehr, denn jeder behauptet in allen möglichen Kanälen, er sei irgendetwas: nachhaltig, innovativ, effizient, aber diese Begriffe sind zumeist nur noch leere Worthülsen. Was 2014 in Brasilien mit dem Mythos Campo Bahia noch wunderbar funktioniert hat – ein beispielloser Zusammenhalt des Teams – blieb diesmal nur ein lebloses Konstrukt. Es hat sich kein Mythos entwickelt. Es gab keine kraftvolle Erzählung, die dem sportlichen Geschehen eine Rahmung gegeben hätte, die den Trouble mit Mesut Özil oder das „Generationenproblem“ innerhalb der Mannschaft hätte auffangen oder in positive Energie umwandeln können. Es wurde keine Geschichte zusammen geschrieben und es wurden keine Geschichten zusammen erzählt.
Die vier Kontinente stehen in einem dynamischen Wechselspiel miteinander, stärken oder schwächen den Mythos in ihrer gemeinsamen Mitte. Und genau darauf kommt es an: alles in einem Zusammenhang miteinander zu sehen. Es geht nicht darum, sportliche Leistungsfähigkeit (Angebot) und Stories getrennt zu analysieren, sondern herauszufinden, wie sich beide in ein möglichst wirksames Zusammenspiel bringen lassen. Wenn dann auch noch die Erlebbarkeit (Verhalten) und das Design dazu passen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich ein starker Mythos ausbildet und somit die Identifikation der Beteiligten mit dem Vorhaben stark ist. Der Soziologe Hartmut Rosa nennt das Resonanz, und das Erzählen und das Teil einer Erzählung sein ist auch für Erwachsene ein zentraler Resonanzfaktor.
Joachim Löw und Oliver Bierhoff hätten jedenfalls vor dem Hintergrund eines Storytelling-Prozesses in ihrer Analyse deutlich präziser Auskunft geben können über Identifikation, Zusammenhalt und Motivation ihres Teams – aber womöglich wird das 2020 zur Europameisterschaft im gleißenden Licht des Erfolgs gar nicht mehr nötig sein.
Zur Person
Dr. Martin Beyer ist Experte für Storytelling. In Seminaren und Vorträgen unterstützt er zahlreiche Unternehmen und Organisationen. Jüngst ist sein Ratgeber „StoryThinking – Durch die Kraft der Erzählens Mitarbeiter und Kunden gewinnen“ (Verlag Franz Vahlen) erschienen, in dem er seine Storyversum-Methode ausführlich darstellt. www.story-thinking.com
Steckbrief zum Buch
Martin Beyer,
StoryThinking,
Verlag Franz Vahlen, München,
2018, IX, 257 Seiten, Klappenbroschur
€ 29,80 [D], ISBN 978-3-8006-5743-8
Hat man die Analyse der sportlichen Leistungen anhand des vorhandenen Datenmaterials klar vor Augen, wirkt die Analyse der „weichen“ Faktoren wie Motivation, Identifikation, Zusammenhalt fast schon nebulös: Es wird von Feuer gesprochen, von brennenden Lunten, in Zukunft sollen Bilder entworfen werden und es wird etwas eingefordert. Aber was genau? Die im Vorfeld postulierten Slogans „Zusammen.“ „Geschichte schreiben“ oder „#wirfuer5“ haben offenkundig nicht für das nötige Feuer gesorgt – es ist genau der von Bierhoff erwähnte Unterschied, ob man eine Emotion behauptet oder einfordert, oder ob sie gelebt wird und einem „gemeinsamen Bild“ entspricht. Der Behauptungsmodus jedenfalls funktioniert nicht mehr, denn jeder behauptet in allen möglichen Kanälen, er sei irgendetwas: nachhaltig, innovativ, effizient, aber diese Begriffe sind zumeist nur noch leere Worthülsen. Was 2014 in Brasilien mit dem Mythos Campo Bahia noch wunderbar funktioniert hat – ein beispielloser Zusammenhalt des Teams – blieb diesmal nur ein lebloses Konstrukt. Es hat sich kein Mythos entwickelt. Es gab keine kraftvolle Erzählung, die dem sportlichen Geschehen eine Rahmung gegeben hätte, die den Trouble mit Mesut Özil oder das „Generationenproblem“ innerhalb der Mannschaft hätte auffangen oder in positive Energie umwandeln können. Es wurde keine Geschichte zusammen geschrieben und es wurden keine Geschichten zusammen erzählt.
Storytelling als Resonanzfaktor
Dabei gibt es Methoden, auch in diesem Bereich strategisch und nachhaltig zu arbeiten. In Wirtschaftsunternehmen werden seit einigen Jahren Storytelling-Verfahren angewendet, die dabei helfen, genau das erfahrbar und nutzbar zu machen, was sich sonst einer klaren Analyse entzieht: die Emotionen und das Erfahrungswissen der Beteiligten. Was also tatsächlich gedacht, gelebt, gefühlt wird. Im Vorfeld eines großen Turniers ließe sich ein solcher Storytelling-Prozess sehr gut nutzen, um an einem gemeinsamen Bild zu arbeiten, wie es Oliver Bierhoff ausgedrückt hat. Spieler, Betreuer und Trainer werden von einem externen Storyteller nach einem standardisierten Verfahren anonym interviewt – dieses Erzählmaterial wird dann zu einer ehrlichen Erfahrungsgeschichte verdichtet, einer learning history. Aus dieser kann schließlich das Fundament für ein gemeinsames Narrativ entstehen, der Raum für ein gemeinsames Abenteuer. Durch das Verfahren wird zudem deutlich, welche Spannungen und Konflikte es innerhalb der Gruppe gibt. Mit der sogenannten Archetypenlehre etwa lässt sich feststellen, ob eine bestimmte Emotion oder Grundhaltung dominant ist oder fehlt. So steht einer jeden Gruppe der sogenannte Trickster gut zu Gesicht, der den Druck und die Schwere der Aufgabe durch Humor und eine Prise Anarchie auflockert. Ein Spieler der Marke Lukas Podolski wäre ein solcher Trickster. Gab es ihn diesmal? Löw sagte in seiner Analyse, dass das Strategische und Strukturelle überwogen hätte. Und haben sich die Weltmeister von 2014 auf einen Rollenwechsel eingestellt? Sollten sie nun nicht eher Mentoren für die Jüngeren sein – oder haben sie das als drohende Entmachtung empfunden?Die Storyversum-Methode
Ein noch umfassenderer Ansatz besteht darin, das ganze Team und das bevorstehende Turnier als Erzählwelt, als Storyversum zu entwerfen. In der Mitte findet sich der Mythos – also das große Warum der Unternehmung, das zentrale Identifikationsangebot. Aber auch die Konflikte, dargestellt durch das Yin-und-Yang-Symbol. Konflikte sind nicht nur schwarz, also negativ, sondern auch weiß, sie können ein Projekt stören oder aufhalten, sie können aber auch ein Motor für Entwicklung sein. Die vier Kontinente des Storyversums sind: Stories, also alle relevanten Geschichten rund um die Mannschaft. Die Tradition der vergangenen Erfolge und Misserfolge, persönliche Geschichten der Spieler und Trainer, aber auch die Geschichten der Fans. Angebot bedeutet im Sport das faktische Leistungsvermögen, hier sind wir in Löws erstem Analysebereich. Was kann die Mannschaft wirklich leisten, welche Taktik wird gewählt und wie kann man das messen? Verhalten beschreibt unter anderem die Art und Weise, wie man mit der Mannschaft in Kontakt kommen kann, ob man in der Rolle des passiven Beobachter bleibt, oder ob man in einer gewissen Weise mitdenken und mitmachen darf. Hier wurde „die Mannschaft“ offenbar als zu weit entfernt, zu hermetisch abgeschottet, teilweise auch als zu arrogant wahrgenommen. Design schließlich umschreibt den sinnlichen Eindruck – das Erscheinungsbild, den Look, aber zum Beispiel auch, wie Räume gestaltet sind. Orte sind für einen Mythos sehr wichtig, man denke an die berühmte Garage zahlreicher Unternehmensgründungen im Silicon Valley. Hier wäre also auch die Frage nach dem Mannschaftshotel zu beantworten; in Brasilien war das Campo Bahia, ob zufällig oder nicht, die perfekte Umrahmung für das Gesamtgeschehen, ein Möglichkeitsraum. Watuniki in Russland hatte diese mythenfördernde Kraft offenbar nicht.Die vier Kontinente stehen in einem dynamischen Wechselspiel miteinander, stärken oder schwächen den Mythos in ihrer gemeinsamen Mitte. Und genau darauf kommt es an: alles in einem Zusammenhang miteinander zu sehen. Es geht nicht darum, sportliche Leistungsfähigkeit (Angebot) und Stories getrennt zu analysieren, sondern herauszufinden, wie sich beide in ein möglichst wirksames Zusammenspiel bringen lassen. Wenn dann auch noch die Erlebbarkeit (Verhalten) und das Design dazu passen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich ein starker Mythos ausbildet und somit die Identifikation der Beteiligten mit dem Vorhaben stark ist. Der Soziologe Hartmut Rosa nennt das Resonanz, und das Erzählen und das Teil einer Erzählung sein ist auch für Erwachsene ein zentraler Resonanzfaktor.
Joachim Löw und Oliver Bierhoff hätten jedenfalls vor dem Hintergrund eines Storytelling-Prozesses in ihrer Analyse deutlich präziser Auskunft geben können über Identifikation, Zusammenhalt und Motivation ihres Teams – aber womöglich wird das 2020 zur Europameisterschaft im gleißenden Licht des Erfolgs gar nicht mehr nötig sein.
Zur Person
Dr. Martin Beyer ist Experte für Storytelling. In Seminaren und Vorträgen unterstützt er zahlreiche Unternehmen und Organisationen. Jüngst ist sein Ratgeber „StoryThinking – Durch die Kraft der Erzählens Mitarbeiter und Kunden gewinnen“ (Verlag Franz Vahlen) erschienen, in dem er seine Storyversum-Methode ausführlich darstellt. www.story-thinking.com
Steckbrief zum Buch
Martin Beyer,
StoryThinking,
Verlag Franz Vahlen, München,
2018, IX, 257 Seiten, Klappenbroschur
€ 29,80 [D], ISBN 978-3-8006-5743-8